Medien & Gesellschaft

12 Millionen

So groß ist die Zahl der geflohenen und aus den Ostgebieten vertriebenen Deutschen, die auf dem Gebiet der späteren DDR und Bundesrepublik Deutschland ein neues Zuhause finden sollten. Angekommen sind letztendlich aber nur vielleicht zehn Millionen. Genau wird man diese Zahl nie kennen, zu viele sind am Wegesrand verscharrt, in Massengräbern beerdigt oder etwa in der Ostsee versunken. Nach seriösen Schätzungen sind etwa zwei Millionen Deutsche durch Flucht und Vertreibung umgekommen. Nicht eingerechnet wurden die Frauen, die nach Vergewaltigungen durch vor allem russische Soldaten umgebracht oder durch Freitod aus dem Leben geschieden sind; diese Schicksale sind in diesem Buch weitgehend nur am Rande erwähnt und nicht näher untersucht.

Dieses Buch will das Schicksal der Deutschen (und in Ansätzen auch der Polen, die aus den von der UdSSR besetzten Gebieten im früheren polnischen Osten stammten und in den vorher deutschen Gebieten angesiedelt wurden) nicht nur aufklären helfen. Die eindrucksvollen, teilweise sehr persönlichen Schilderungen sowie die Zeitdokumente wie die wenigen überlieferten Bilder lassen den Leser erschüttern. Ich würde dieses Buch niemandem empfehlen, der selbst von Flucht und Vertreibung betroffen war. Zu aufrührend wären wahrscheinlich die Erinnerungen, vielleicht auch zu schrecklich. Dann auch die Erkenntnis, dass der betroffene Personenkreis bis heute in großen Teilen traumatisiert ist, setzt sich langsam durch.

Eines will dieses Buch aber sicher nicht: aufrechnen. Und das ist gut so. Aber angesichts der Tatsache, dass es einen Holocaust mit alleine etwa sechs Millionen getöteten Menschen jüdischen Glaubens (oder dazu durch Abstammung erklärten) gegeben hat, soll nicht den Blick dafür verstellen, dass auch das deutsche Volk – und hier natürlich vor allem die meist unschuldigen Frauen und Kinder – viel erleiden musste. Wenn nicht jetzt, wo noch zahlreiche Zeitzeugen leben, wann wäre dann die richtige Zeit, dieses Buch zu veröffentlichen?

So wie heutige Generationen über die in deutschem Namen ausgeübten Verbrechen der NS-Diktatur erfahren sollten, ja müssten, so gehört auch das Thema Flucht und Vertreibung auf den Lehrplan. Denn auch dieses Buch darf sich das Etikett „Den Toten zum Gedächtnis, den Lebenden zur Mahnung“ umhängen. Flucht und Vertreibung haben 1948 nicht aufgehört. In Europa war es Ex-Jugoslawien, in Afrika sind es Sudan und Ruanda, um nur aktuelle Beispiele zu nennen. Sie sind immer grausam.

hah
05.04.2005

 
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Das Buch:

Autorenkollektiv: Flucht und Vertreibung. Europa zwischen 1939 und 1948. Mit einer Einleitung von Arno Surminski

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Hamburg: Eller & Richter Verlag 2004
280 S., ca. 130 Abb., € 24,95
ISBN: 3-8319-0173-2

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