Medien & Gesellschaft

Einfach nicht einfach

Kunert ist Kunert, der gern, oft, immer wieder einen "anderen K." ins Gespr?ch bringt und sprechen l?sst. Der G?nter Kunert, den die Leser von "Die Geburt der Sprichw?rter" zu lesen bekommen, ist vor allem der, der im "zweiten deutschen Staat" zu Hause war. Dem hatte Kunert bereits gek?ndigt, bevor der Staat aus dem Atlas herausgerissen wurde. Das Fremdsein in der ersten Heimat des geb?rtigen Berliners war ?beraus f?rderlich f?r das Formulieren von Gedanken zur eigenen dichterischen Existenz und das Existieren in der Gesellschaft. Gestern - Heute - Morgen. Fragen, Fragen und nochmals Fragen zum Sein und Schein. Bemerkungen, Beobachtungen voller Bedenken, die der Verfasser Notizen nennt. Nach eigenem Bekenntnis begann er 1964 damit, Notizen zu schreiben.

Der Schriftsteller zieht die Leser auf seine Seite, die noch nicht des Lesens von Literatur entw?hnt sind. Wer bei den Schwarten der Grabbeltische angekommen ist, ger?t beim Lesen von "Die Geburt der Sprichw?rter" ins Schwitzen. G?nter Kunert schreibt nicht nur Worte, Worte, Worte. Er schreibt eine Sprache. Die kunertsche Sprache, die nur im Kunert-Literatur-Land geschrieben wird. Eine Sprache, die in keine andere Sprache eines anderen Landes ?bersetzt werden kann. Wer Kunert will, muss sich an Kunert halten. So einfach ist das! Ein einfaches Lesen der Notizen ist nicht m?glich. Es ist nicht m?glich, lax ?ber die Seiten des Schriftstellers hinwegzuhuschen. Die Zeilen verlangen Zeit, intensive Lesezeit. Was Kunert im Sinn hat, ist stets das Existenzielle, sind die Bausteine des menschlichen Seins. Das festzustellen bedeutet, eventuell der Antwort auf die Frage nah zu sein, die der Autor sich stellt: "Wieso alle die Notizen schreiben?"

Kunert schreibt seine Mutter-Vater-Sprache. Er ist der Souver?n. Er befruchtet seine Sprache selbst, die Kunert-Sprichw?rter gebiert. Der Autor ?hnelt Adam, einem Gesch?pf des franz?sischen Erz?hlers Michel Tournier, der Zeugender und Geb?render in einer Person ist. Wie sich G?nter Kunert angew?hnen? Einem Dichter, dem nichts widerlicher ist, als sich gew?hnlicher Gewohnheit hinzugeben. Die Lektion des Autors, der kein Lehrmeister sein m?chte: Es ist nicht angenehm, in der Gewohnheit, mit der Gewohnheit zu leben. Zumindest bis in alle Ewigkeit. Der unausweichlichen Ewigkeit, der Kunert am liebsten auf ewig ausweichen will. Wie das? Zugeben - und darin ?berzeugend sein -, dass Leben eine Vorbereitung auf das Leben ist. Ein Bekenntnis, das einschlie?t, dass alles Schreiben die Vorbereitung auf das Schreiben ist? Wer so etwas, direkt wie indirekt, leise und laut ?u?ert, den kann man nicht hineinmampfen wie Popcorn im Kino.

"Die Geburt der Sprichw?rter" ist nichts f?r einen m??igen, langen Nachmittag. Das Buch ist ein Buch f?r die Lekt?re neben der Lekt?re. Es wird noch da sein, wenn Dutzende andere B?cher bereits im Antiquariat sind. Es ist ein Buch f?r Anstriche, denn einige Sprichw?rter haben den Anspruch, im B?chmann aufgenommen zu werden. Zum Beispiel: "Die Welt ist so laut, dass man sich die Ohren zuhalten muss, um sie zu verstehen." Oder noch besser: "Unser Verh?ltnis zur Wirklichkeit ist empfindlich gest?rt, haupts?chlich durch Wirklichkeit." Das kann nur jemand sagen, der empfindlicher als empfindlich ist. Einer, der auch immer die Kraft zur Wehr hat und launig bemerkt: "Gebt jedem Schriftsteller im Monat 1000,- Mark mit der einzigen Bedingung, dass er Euch nicht lobt." Wie kontern? Wie w?r?s damit: Gebt jedem Kritiker 2000,- Euro mit der einzigen Bedingung, dass er keinen Schriftsteller lobt? Wenn damit, hier, nicht schon mal 2000,- Euro verspielt sind!

Bernd Heimberger
02.01.2012

 
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Das Buch:

Günter Kunert: Die Geburt der Sprichwörter

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Göttingen: Wallstein Verlag 2011
142 S., € 17,90
ISBN: 978-3-8353-0881-7

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