Medien & Gesellschaft

Es gibt nun mal ein Lebensrisiko ...

Es vergeht ja kaum ein Tag, an dem nicht auf einer der ersten Seiten der regionalen und überregionalen Zeitschriften ein wie immer gearteter vermeintlicher oder tatsächlicher Skandal für eine Schlagzeile ausreicht. Auch viele der Infotainment-Sendungen der privaten und auch öffentlich-rechtlichen Sender sind sich für keine Schlagzeile zu schade.

Die beiden Autoren haben sich nun zur Aufgabe gemacht, diese Panikmache zu hinterfragen und das tatsächliche Risiko, das mit diesen "Skandalen" verbunden ist, deutlich zu machen. Dabei ist der Anfang eher noch verhalten. Die Autoren stellen erst einmal fest, was für eine Gesellschaft ein vertretbares Risiko ist und was nicht. Für ein Kind, das in einen Brunnen gefallen ist, dürfen natürlich weder Kosten noch Mittel gescheut werden, solange Aussicht auf Rettung besteht. Die Konsequenz eines solchen Falls kann aber keineswegs sein, dass ab sofort alle Brunnen und alle Gewässer zugeschüttet werden, weil ein Kind hinein fallen könnte.

Wesentlich ist eben die Risikoabschätzung, mit der sich die Autoren ausführlich beschäftigen. Bei der Lektüre wird sehr schnell deutlich, dass das angebliche Risiko vieler so genannter Skandale denkbar gering ist. "Pestizide in Babynahrung eines bestimmten Herstellers" war eine solche Schlagzeile, nach Angaben der Autoren nur eine Falschinformation eines Konkurrenten, die viele Mütter dazu veranlasste, selbst Gemüse zu kochen, für das weitaus höhere Grenzwerte gelten als Schadstoffe in der angeblich kontaminierten Babynahrung vorhanden waren.

Die Autoren reden auch nicht um den heißen Brei herum, wenn es darum geht, die Personen und interessierten Zusammenschlüsse zu nennen, die von dieser Panikmache profitieren.

In Deutschland wurde der Atomausstieg beschlossen. Unter anderem war der Hinweis auf Tschernobyl dafür verantwortlich. Dabei wird von Regierungsseite wie auch von der interessierten Lobby schlichtweg verschwiegen, dass Atomkraftwerke vom Typ Tschernobyl in Deutschland gar nicht existieren, wir die sichersten Atomkraftwerke der Welt haben und – ein bislang nahezu unbeachteter Fakt – die Atomkatastrophe in Tschernobyl bis heute weniger als 50 dokumentierte Todesfälle brachte. Natürlich wurden in der Umgebung Tschernobyls missgebildete Kinder geboren. Aber auch bereits vor 1986. Auch in Deutschland werden jedes Jahr etwa 3000 missgebildete Kinder geboren, weil die Mütter Alkoholmissbrauch betreiben.

BSE verursacht in Deutschland selbst bei pessimistischer Schätzung nur wenige Hundert Tote, bis heute gibt es keinen dokumentierten Fall der angeblich (der Nachweis fehlt noch) dadurch verursachten neuen Creutzfeldt-Jacob-Erkrankung, dagegen sterben jedes Jahr etwa 100.000 Deutsche an Lungenkrebs, die Mehrzahl davon als Folge des Rauchens.

Wer nun behauptet, auch einige Hundert Tote wären zu viel, der darf seinen Fuß nicht mehr vor die Tür setzen angesichts von 8000 Toten im Straßenverkehr und etwa 10.000 Toten bei häuslichen Unfällen – jeweils pro Jahr alleine in Deutschland. Wer eine hundertprozentige Sicherheit haben will – eine häufig geäußerte, aber deswegen nicht weniger unsinnige Forderung –, der verkennt, dass es diese rein mathematisch gar nicht geben kann.

Dabei mussten sich die Autoren sogar deutlich einschränken. Dem Rezensenten sind nach der Lektüre gleich mehrere solcher "Skandale" eingefallen, die bei näherer Prüfung auch zu einem vertretbaren Risiko werden. Diese hier alle aufzuführen, würde jedoch zu weit führen.

Den Autoren gebührt das große Lob, mit ihrem Buch die Diskussion auf den Punkt der Risikoabschätzung gebracht haben. Es gibt nun mal ein Lebensrisiko, und angesichts der Zahl der Abtreibungen besteht das größte Risiko fast schon vor der Geburt.

Durch den engagierten, aber dennoch nachvollziehbar sachlichen Ton (man merkt manchmal richtig, wie sich die Autoren über manche unsinnigen Behauptungen so genannter Experten ärgern und sich zurückhalten mussten) ist das Buch gut lesbar und auch für den Nicht-Naturwissenschaftler sehr gut verständlich.

Jedem, der sich für dieses Thema interessiert, allen voran aber denjenigen, die sich beruflich oder auf politischer Ebene damit befassen (namentlich erwähnt werden die Journalisten, die sich auf diese Gebiete ohne Kenntnisse vorwagen, sowie die Politiker in Land und Bund), kann dieses Buch nur wärmstens empfohlen werden.

Eigentlich sollte es sogar eine Pflichtlektüre sein. In der dann sicher bald notwendigen Neuauflage sollte man allerdings einen kleinen sachlichen Fehler (der Grundenergiebedarf des Menschen liegt bei etwa 10.000, nicht 2500 Kilojoule) und einige Tippfehler ausbügeln.

hah
14.01.2002

 
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Das Buch:

Walter Krämer, Gerald Mackenthun: Die Panik-Macher

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München: Piper Verlag 2001
262. S
ISBN: 3-495-04355-0

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