Medien & Gesellschaft

Ganz unten in einem reichen , armen Land

Seit einiger Zeit begibt sich der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff wieder in die Rollen der Gebeutelten dieser Gesellschaft. Undercover versucht er als Call-Center-Agent Michael G. sein Verkäufergeschick mit Hilfe von Selbstverleugnung einzusetzen. Als Niedriglöhner schuftet er in einer Fabrik, die für Lidl Aufbackbrötchen herstellt. Als Obdachloser verbringt er einige Monate auf der Straße, darunter die kältesten Tage des Jahres. Und erstmals in "Aus der schönen neuen Welt" berichtet er von seinem Erfahrungen als Schwarzer unter Weißen. In diesen und vier weiteren Reportagen dokumentiert der Autor in gewohnter Art und Weise vorhandene Missstände in Deutschland.

Wallraff verhält sich nicht unauffällig, wenn er eine seiner geliehenen Identitäten einnimmt. Er testet seine Grenzen aus, nimmt die schwersten Situationen seiner jeweiligen Rolle. So kommt es, dass er beispielsweise ein Fußballspiel in Cottbus besucht und sich anschließend unter aufgeheizten Fußballfans in einem Fanzug nach Dresden befindet. Eine gefährliche Situation, wenn man "so schwarz wie der Heidi Klum ihrer" ist. Allein der Polizeipräsenz ist es wohl zu verdanken, dass Wallraff körperlich unbeschadet den Zug wieder verlassen kann. Als "Schwarzer" versucht er, Teil einer Seniorenwandergruppe zu werden, eine Wohnung zu mieten, einen Dauerstellplatz auf einem Campingplatz mit seiner "schwarzen Familie" zu bekommen, um am Ende seiner Reise in seinem eigenen, mulikulturellen und eigentlich toleranten Stadtteil Köln-Ehrenfeld beim Kölsch trinken Diskriminierung zu erfahren.

Wallraffs nicht allzu verwunderliches Fazit nach seiner verdeckten Recherche: Schwarzen wird das Leben in unserer Gesellschaft erschwert. Immer wieder erfahren sie Ausgrenzung und Ablehnung infolge einer Stereotypisierung. Der neue Rassismus sieht so aus, dass den Schwarzen zwar ein tolles und erfülltes Leben zugesprochen wird, aber bitte nicht gerade jetzt und hier. Da hilft seiner Meinung nach keine Betroffenheitsrhetorik, da muss in Bildung investiert werden.

In einer weiteren Reportage beschäftigt sich Wallraff mit einem Anwalt, der sich auf die Kündigungen "der Unkündbaren" - Schwerbehinderte, Schwangere, Kranke und Betriebsräte - spezialisiert hat. An einzelnen Fällen werden die abartigen Mobbingmethoden beschrieben, die eingesetzt werden, um "den Arbeitnehmer auf kaltem Wege zur Aufgabe seines Arbeitsplatzes zu bewegen". Damit macht er auch aufmerksam auf eine Reformbedürftigkeit des Arbeitsrechts, das Kündigungen wegen Kleinigkeiten gestattet. So setzt sich Wallraff für mehr Gerechtigkeit ein, indem er mit den Mitteln des investigativen Journalismus die dunklen Seiten der "schönen neuen Welt" ans Licht bringt. Dabei ist seine Arbeit nach wie vor wichtig und notwendig, um die Menschen über Missstände in unserer Gesellschaft aufzuklären und zu sensibilisieren.

Jennifer Mettenborg
22.03.2010

 
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Das Buch:

Günter Wallraff: Aus der schönen neuen Welt

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Köln: Kiepenheuer & Witsch 2010, 3. Aufl.
336 S., € 13,95
ISBN: 978-3-462-04049-4

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