Medien & Gesellschaft

Dünger des Dilettantismus

Die Dilettanten der Dörfer, Gemeinden, Städte, Kreise hat Thomas Wieczorek nicht mal im Weitwinkel. Sie sind das Fundament, auf dem "Die Dilettanten" stehen, von denen der Publizist in seinem gleichnamigen Buch spricht - mehr oder weniger vehement verächtlich. Was berechtigt zu dieser Verächtlichkeit?

Wieczorek ist kein versierter Analytiker, der mit der wissenschaftlichen Herangehensweise eines Politologen daherkommt. Er ist nicht einmal einer der ehrgeizigen Experten, die täglich scharenweise durch die Medien geistern. Experten, die in seiner publizistischen Expertise zum Dilettantismus ebenso mit Verachtung gestraft werden wie die Politiker und ihre Politik. Thomas Wieczorek will jedermann, jeden geistigen Niveaus, unmissverständlich sagen, "Wie unfähig unsere Politiker wirklich sind". Wissen wir das nicht seit Langem? Sind deshalb "unsere Politiker" – ebenfalls schon lange? – gar nicht mehr unsere Politiker? Wessen Politiker sind sie? Sie sind die Politiker des Autors. Wieczorek braucht sie. Wem sonst sollte er seine Worte im geübten SPIEGEL-Jargon um die Ohren schlagen?

Es hat schon etwas, dass der Verfasser sich nicht ins Tal der Politik begeben hat. Es hat etwas von Ignoranz, die ländlichen Gefilde nicht durchforstet zu haben, wo der politische Dilettantismus gesät wird. Der hurtige, konditionsstarke Autor hat die Höhen erklommen, wo die passionierten prominenten Populisten der Politik zu Hause sind. Beginnend mit der Kanzlerin, kanzelt er alles ab, was nur abzukanzeln ist in der Bundesrepublik - die gesamte Regierungsmannschaft, einschließlich des munteren Karl-Theodor von Guttenberg. Namen sind für Wieczorek nicht Schall und Rauch. Der Verdacht schwelt, dass der scheinbar souveräne Schreiber, doch nicht so souverän operiert, wenn ihm Personen wichtiger sind als die Sache.

Die Leute da oben aufzumischen bedeutet mitzumischen. Miese muss Wieczorek nicht miesmachen. Er muss nur sichtbar machen, wie mies Politik gemacht wird von den vielfach abhängigen Politikern, das heißt von der persönlichen Inkompetenz, mittelmäßigen Mitarbeitern, strebsam-gierigen Lobbyisten. Das ahnten, witterten die Laien seit Jahrzehnten. Das wird ständig zur Gewissheit, wenn in schöner Regelmäßigkeit ein Betrugsskandal die Medienrunde macht. Immer ein Beweis dafür, wie dilettantisch agiert und reagiert wird, denn ohne Dilettantismus wäre kein Betrug offenbar geworden. Ein Hoch also auf den nützlichen Dilettantismus. Was die dubiosen Dilettanten unter den Teppich kehren, bleibt unter dem Teppich. Den Autor kümmern die Fusseln darauf. Wieczoreks Buch ist eine Sammelstelle für den allgemeinen, alltäglichen, gewöhnlichen Dilettantismus der Politiker in der Politik. Nicht ohne Witz ist das Buch ohne analytische Brillianz und himmelschreiende Enthüllungen. Thomas Wieczorek ist populistisch in seiner Annäherung an die politischen Populisten und ihren Populismus. Der Publizist profitiert vom Populismus, der der Dünger des Dilettantismus ist.

Wie es gekommen ist, dass in die Galerie der Geächteten auch Heiner Geißler geraten ist? Ist er das Gegenbeispiel? Der Antipopulist unter den Populisten? Der Fähige unter den Unfähigen? Das "schwarze Schaf" in der dunklen CDU, das als guter Hirte fungiert? Warum nicht?! Geißler gehört ins Buch, um Unterschiede zu machen. Um den Lesern Mut zu machen. Schließlich will Wieczoreks Schriftstück nicht die Stinkbombe sein, die das Kanzleramt, den Reichstag, die Ministerien ausräuchert. Die Stinkbombe, die die letzten Wähler von den Wahlurnen fernhält. Wo kämen wir hin, wenn keiner von uns Dilettanten mehr die politischen Dilettanten wählen würde? Oder wir hingingen und uns in die Liste des Kandidaten Horst Schlämmer eintrügen, des Königs aller Dilettanten? So doof ist der ganze Dilettantismus gar nicht, wie uns Thomas Wieczorek mit "Die Dilettanten" weismachen will.

Bernd Heimberger
17.08.2009

 
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Das Buch:

Thomas Wieczorek: Die Dilettanten. Wie unfähig unsere Politiker wirklich sind

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München: Knaur Taschenbuch Verlag 2009
319 S., € 8,95
ISBN: 978-3-426-78266-8

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