Medien & Gesellschaft

Geist ohne Grenzen

Großmutter, die Kluge, sagte: Bücher sind Lehrmeister, die nicht brummen! Großmutter, die Kluge, war eine emsige und gewissenhafte Leserin der "Weltbühne". Über Siegfried Jacobsohn, Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky sprach sie wie über Verwandte. "Weltbühnen"-Leser waren Verwandte im Geiste. Sie waren Teil der Familie des linksbürgerlich, intellektuellen Deutschlands. Wie die Vorfahren, haben die Nachkommen der "Weltbühnen" Leser eine besondere Beziehung zu dem "Blättchen", das Jacobsohn 1905 als "Schaubühne" gründete.

Über die "Weltbühne" schreibt anders, wer seine besondere Beziehung und somit Bindung zu der Zeitschrift hat. Anders als es Friedhelm Greis, Jahrgang 1966 und Stefanie Oswalt, Jahrgang 1967, tun. Sie schreiben, etwas ungerecht geurteilt, beziehungslos und bindungslos. Greis und Oswalt haben den voluminösen Band "Aus Teutschland Deutschland machen" herausgegeben, der "Ein Politisches Lesebuch zur 'Weltbühne'" ist. Gut, weil auch gefühlt, ist das Vorwort, das Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung“ verfasste. In Prantls Worten ist der Geist der Weltbühnen-Autoren, die ihren Lesern die Bühne der deutschen Welt auf eine so beispielhaft-anschauliche Art präsentierten. Etwas von diesem Gehalt wäre den begleitenden Zwischentexten zum Buch zu wünschen gewesen. Nicht Jammern, was nicht ist, ist nicht! Es ist in dem Band genug, was ihn wichtig und wertvoll macht. Nicht für die letzten Mohikaner der "Weltbühnen"-Zeit, die erst endete, als sich Neu-Deutschland in die Zeitgeschichte drängte. (Worüber, auch, einmal nachzudenken wäre!) Das Lesebuch ist im besten Sinne ein Buch zum Nach-Lesen für die Nachgeborenen. Das Lesebuch, das vorliegt, ist eine Chronik zur Geschichte Deutschlands, die die tragischen Entwicklungen während der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts in Deutschland nicht nur auflistete.

Die Autoren, die für die Weltbühne schrieben, sind allesamt analysierende Individualisten gewesen, die von Demokratie nicht schwafelten, sondern in jedem ihrer publizistischen Beiträge Demokratie praktizierten. Sie lebten das Wagnis Demokratie mit jeder Zeile. Sie lebten ihr Engagement, das den Geist entgrenzte und die Grenzen des Geistes ganz schnell offenbarte. Ohne Häme ist, nach über einem dreiviertel Jahrhundert, zu lesen, wie oft die drei Großen (Jacobsohn, Ossietzky, Tucholsky) irrten und so mancher Kollege mit ihnen. Und mit Genugtuung wird gelesen werden, welche – prophetische? – Welt-Weit-Sicht die meisten Schreiber der "Weltbühne" hatten. Ein Satz von Alfred Polgar könnte täglich über allen Tageszeitungen stehen: "Die Erde zahlt mächtig drauf". Was wäre möglich in dieser Welt, wäre dieser Satz im Sinn aller Handelnden?

Weinen, weil die Welt nicht schlauer geworden ist? Auch nicht mit der schlauen "Weltbühne" vor der Nase. Erwarten, dass die Welt schlauer wird durch die Nach-Lesenden? Man muss von so einem Lesebuch nicht mehr erwarten, als so ein Lesebuch vermag. Es ist kein Ratgeberbuch. Es ist ein Buch nie versiegender Anregungen, die die Vergangenheit fortgesetzt der Gegenwart gibt. Als Polemiker, Propagandisten, pastorale Prediger sind die Schreiber der "Weltbühne" Publizisten einprägsamer Stimmen gewesen, die mit keinem gleichmütigen, gleichgültigen, Ton einschläferten. Die ausgewählten Texte haben eine Lautstärke, die nicht verhallt ist. Es sind viele der Texte in dem Band, von denen die Altvorderen schwärmten, wenn sie von ihrer "Weltbühne" schwärmten. Aus guten Grund! Zu Recht! "Weltbühne"-Texte sind wieder und wieder zu lesende, lesbare Texte. Sie gehören zum Besten der deutschen Publizistik des 20. Jahrhunderts. Einiges vom Besten ist in dem Band „Aus Teutschland Deutschland machen“. Ein für das Land immer programmatisch gebliebener Titel. Warum macht Teutschland nicht aus Teutschland Deutschland? Sicher hätte sich Großmutter, die Kluge, diese Frage vor zwei Jahrzehnten gestellt. Und sicher hätte sich Großmutter, die Kluge, gewundert, dass ihre "Weltbühne" just in dem Moment von der Bühne verschwand, als die Chancen gut schienen, die Frage endlich zu beantworten.

Bernd Heimberger
11.05.2009

 
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Das Buch:

Friedhelm Greis, Stefanie Oswalt (Hg.): Aus Teutschland Deutschland machen. Ein politisches Lesebuch zur "Weltbühne"

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Berlin: Lukas Verlag 2008
540 S., € 29,80
ISBN: 978-3-86732-026-9

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