Medien & Gesellschaft

Irgendwie gelackmeiert

Declan Hill ist in den vergangenen Wochen medienwirksam durch die Lande gezogen, um sein enthüllendes Werk über die üblen Machenschaften im fußball-manipulierenden Wettgeschäft vorzustellen: "Sichere Siege". Hill, ein kanadischer Journalist, der in England aufwuchs und in Oxford über Fußball und organisiertes Verbrechen promovierte, hat sich dem investigativen Journalismus verschrieben und für das vorliegende Buch Asien, Afrika und Europa bereist.

Hills Werk ist in drei Kapitel und damit sinngemäß in die drei Etappen seiner Recherchearbeit gegliedert, in denen er zunächst die Hoffnungslosigkeit des in sich ob der fehlenden Glaubwürdigkeit zusammengestürzten asiatischen Fußballs beschreibt, anschließend die Infiltration der asiatischen Wettmafia in den europäischen Markt und schließlich als Höhepunkt die Verschiebung von einzelnen Spielen während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland.

Hill war dabei sehr fleißig, hat viel recherchiert und alle seine Fakten und Vorfälle zusammengetragen. Insbesondere in den beiden ersten Kapiteln überfordert er den Leser mit einer Informationsflut und Vielzahl von Personen, die allesamt keine Waisenknaben sind und deren Verstrickungen in die Manipulation von Fußballspielen in den verschiedenen asiatischen Ligen. Auf der europäischen Seite werden die altbekannten Fälle hervorgeholt, die auch über Fachkreise hinaus bekannten Robert Hoyzer für Deutschland, Bernard Tapie für Frankreich und Bruce Grobbelaar für den englischen Fußball. Hier wäre Hill gut beraten gewesen, dass weniger manchmal mehr ist, um dem Leser das Geschehene plausibel zu machen und nahe zu bringen. Auch stellt die deutsche Übersetzung kein Meisterwerk dar, so werden Manchester United drei "Europameistertitel" gut geschrieben. Deutschland mag drei Europameistertitel auf sein Revers heften, Manchester United dagegen drei "Europapokalsiege" bzw. "Champions League-Titel".

Gebannt klebt der Leser an Hills Lippen, wenn er berichtet, wie denn nun in der Praxis Spiele verschoben werden: Welche Parteien sind im Vorfeld zu bestechen? Wie werden diese verschiedenen Parteien instruiert? Wie verhalten sich manipulierte Fußballer auf dem Platz, um die beabsichtigten Vorhaben umzusetzen? Wie hat ein Torwart zu spielen? Wie ein Verteidiger, wie ein Mittelfeldspieler und wie ein Stürmer? Schlüpfrig und amourös, aber nicht gänzlich unerwartet sind die Details, die zur Beeinflussung von Schiedsrichtern und Funktionären führen.

Geld verdienen lässt sich im manipulierten Wettspiel laut Hill idealerweise mit Favoritensiegen, die durch Bestechung der schwächeren Mannschaft abgesichert werden. Dies erscheint sehr plausibel, da es zum einen keinen Verdacht erregt, wenn der Favorit gewinnt, und zum anderen die potentiell unterlegene Mannschaft die Möglichkeit hat, außer der Niederlage noch etwas Monetäres davontragen zu können. Darüber hinaus birgt aber das Platzieren von großen Summen auf manipulierte Spiele eine erhebliche Gefahr für den Manipulator, da mittlerweile viele Frühwarnsysteme die Wetteingänge aller legalen Wettanbieter beobachten und Unregelmäßigkeiten unverzüglich melden. Hill zeigt auf, dass auch hier die Manipulatoren ihre Wege gefunden haben, Einsätze breit streuen oder einfach die legalen Wettanbieter umgehen und stattdessen mit illegalen Anbietern kooperieren.

Werden Polizei, Justiz, FIFA-, UEFA- oder sonstige Funktionäre von Hill mit seinen Rechercheergebnissen konfrontiert, stellt sich stets derselbe Reflex wie beim gemeinen Fan ein: Ungläubigkeit bzw. bewusste Ignoranz der unschönen Wahrheit. Hill treibt mit seinen Darstellungen dem Fußball-Fan die Naivität aus, dass Fußballspiele von allen Akteuren mit bedingungslosem und aufopferungsvollem Einsatz von der ersten bis zur letzten Minute ausgefochten werden. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Gauner und schlechte Menschen gibt es nicht nur neben, sondern auch auf dem Fußballplatz.

Hills Darstellungen gipfeln im unvergesslichen WM-Sommer 2006 mit dem angeblich verschobenen Achtelfinale von Dortmund zwischen Ghana und Brasilien, in dem vermutlich einige ghanaische Spieler mithalfen, das beabsichtige Ergebnis eines brasilianischen Sieges mit mindestens zwei Toren Unterschied zu erzielen. "Angeblich" und "vermutlich" deswegen, weil Hill es letztlich nicht vollständig gelingt, eine lückenlose Beweiskette zu legen. Vielmehr müssten seine Ermittlungsergebnisse vor Gericht einen Indizienprozess anstreben. Es spricht allerdings vieles dafür, dass bei diesem Spiel nicht alles mit rechtmäßigen Dingen zugegangen ist.

Spielmanipulationen stellen für den Fußballsport wie auch für Tennis und andere Sportarten, die sich im Fokus der Wettmafiosi befinden, eine große Gefahr dar und haben das Potential, ihn in seinen Grundfesten zu erschüttern, in etwa wie die Dopingproblematik der Leichtathletik und insbesondere dem Radsport nahezu irreparablen Schaden zugefügt hat. Dies ist eine Tatsache, an der sich nicht rütteln lässt und die kein noch so berufsoptimistischer FIFA-Funktionär ignorieren kann. Wer das Buch Declan Hills gelesen hat und aus der Hand legt, wird sich daher auf jeden Fall gelackmeiert fühlen: ob von den Spielern auf dem Platz oder von einem Journalisten, dem es gelungen ist, sein Buch verkaufswirksam auf dem Markt platziert zu haben, das muss jeder Leser für sich selbst beantworten.

Christoph Mahnel
29.09.2008

 
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Das Buch:

Declan Hill: Sichere Siege. Fußball und organisiertes Verbrechen oder wie Spiele manipuliert werden. Aus dem Englischen von Marion Balkenhol

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Köln: Kiepenheuer & Witsch Verlag 2008
416 S., € 14,95
ISBN: 978-3-462-04067-8

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