Medien & Gesellschaft

Die Römische Katastrophe

Es ist zweifelsohne eine der fantastischsten schauspielerischen Leistungen eines einzelnen Künstlers, als Peter Ustinov in "Quo vadis?" in der Rolle des römischen Kaisers Nero mit der Klampfe in der Hand fidelnd den Brand Roms besang. Die Textzeile: "Flammen, verzehrt es, wie im Feuerofen!", und der Gesichtsausdruck Ustinovs haben das Bild eines geistesgestörten Tyrannen geprägt. Dass Peter Ustinov für dieses schauspielerische Meisterwerk nur eine Oscar-Nominierung erhielt, aber bei dem Hollywood-Spektakel letztlich leer ausging, ist gelinde gesagt ein Witz. Doch soll an dieser Stelle nicht die ungerechtfertigte Vergabe von Auszeichnungen zur Diskussion stehen, sondern vielmehr die Wirkung dieses Monumentalfilms und insbesondere dieser dramatischen Szene betrachtet werden. Ustinov manifestierte bei Generationen das Urteil über einen römischen Kaiser als manischen Wahnsinnigen, der Christen abschlachten ließ und sogar seine Stadt anzündete, um die passende Kulisse für eine eigene musische Aufführung zu erhalten.

Nero beziehungsweise mit vollem Namen Nero Claudius Augustus Germanicus stand am Ende einer sehr prägenden Kaiserdynastie. Das julisch-claudische Kaiserhaus bildete nach dem Ende der Republik die erste Dynastie des römischen Kaiserreichs. Angefangen mit dem großartigen Kaiser Augustus, der um die Zeitenwende Rom zu neuer Blüte führte, setzte sich diese Dynastie mit durchaus weniger glücklichen Regenten fort. Während Tiberius noch einigermaßen sich und die Geschicke Roms im Griff hatte, folgten ihm mit Caligula und Claudius zwei Vertreter, die ob ihrer Fehltritte mindestens hinter vorgehaltener Hand ihrer Untertanen als des Amtes unwürdig erachtet wurden. So passt es schließlich auch ins Bild, dass während der Regentschaft Kaiser Neros von 54 bis 68 n. Chr. ein wahnsinniger und unfähiger Tyrann den Schlussakkord in dieser Regentenkette bildete. Unterstrichen durch den Auftritt Peter Ustinovs hat sich dieses Bild in den Köpfen der Gegenwart verfestigt.

Doch seit geraumer Zeit mehren sich die Stimmen Geschichtsgelehrter, dass Kaiser Nero beileibe nicht ausschließlich der wahnsinnige Tyrann gewesen sei, sondern durchaus auch positive staatsmännische Eigenschaften besessen haben soll. Während die Christenverfolgung durch ihn unzweifelhaft erscheint, sind allerdings die Vorgänge rund um den Großbrand Roms am 19. Juli 64 in Zweifel zu ziehen. Scheinbar basieren nur wenige der diesbezüglichen Legenden auf wahren Fakten. Ein Mann, der das Wissen hierzu in sich trägt wie kaum ein Zweiter ist Anthony A. Barrett. Der 1941 geborene Wissenschaftler ist emeritierter Professor an der University of British Columbia. Mit seinen Schwerpunkten römische Literatur und Geschichte sowie klassische Kunst und Archäologie ist er trotz seines hohen Alters immer noch nahe dran an aktuellen archäologischen Ausgrabungen. Um Klarheit in Mythen und Legenden rund um Kaiser Nero und den Großen Brand zu bringen, ist Barrett mit seiner Expertise perfekt dafür geeignet.

Seine gesammelten Forschungsergebnisse und die jüngsten Erkenntnisse der Wissenschaft zu dieser Epoche des römischen Kaiserreichs und zum großen Brand anno 64 hat Barrett im vorliegenden Buch "Rom brennt! Nero und das Ende einer Epoche" zum Besten gegeben. Nachdem das englische Original Ende letzten Jahres erschienen war, liegt nun die deutsche Übersetzung vor. Diese wird herausgegeben vom Theiss Verlag, einem Imprint der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt. Klar ist damit, dass dieser spannende Krimi um die historischen Ereignisse des Jahres 64 keinen reißerischen Hintergrund hat, sondern höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Dass Barrett keinen Vermutungen Raum gibt, sondern ausschließlich gesicherte Fakten abliefert, macht alleine der Umfang des Anhangs in diesem Buch deutlich. Den inhaltlichen Ausführungen über 280 Seiten stehen rund 120 Seiten Anhang gegenüber, in denen Barrett penibel seine Äußerungen durch entsprechende Quellen belegt. Diese reichen mit Tacitus, Sueton und Cassius Dio von den antiken Überlieferungen bis hin zu den allerneuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Barrett holt seine Leser durch die Einbettung des Großfeuers in den historischen Hintergrund ab, bevor er in den sechs zentralen Kapiteln die Gefahr und das Aufkommen von Bränden im antiken Rom erst recht allgemein beleuchtet und schließlich auf das besagte Feuer im Detail zu sprechen kommt. Die Frage nach der Verantwortung dafür, die Nero einst den Christen zuwies, wird anschließend differenziert erörtert. Da diese Zäsur im öffentlichen Leben des römischen Volkes erhebliche und vielfältige Folgen mit sich brachte, versucht sich Barrett schließlich darin, die Bedeutung des Großen Brandes für die Christen, aber auch für die gesamte römische Geschichte zu benennen. Obgleich der Autor viele spezifische Details ausführt, ist der geschichtlich interessierte Leser von dessen Ausführungen gepackt und durchlebt gespannt die heißen Tage im Sommer 64. Glücklicherweise gibt einem Barrett mit zahlreichen Ausführungen im Anhang und illustrierenden Abbildungen die Möglichkeit, auch ohne dezidiertes Spezialwissen über das Alte Rom in den Genuss dieser höchst lesenswerten Ausführung über eine der größten antiken Katastrophen zu kommen.

Christoph Mahnel 
22.11.2021

 
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Das Buch:

Anthony A. Barrett: Rom brennt! Nero und das Ende einer Epoche. Aus dem Englischen von Jörg Fündling

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Darmstadt: wbg THEISS 2021 400 S., € 29,00 ISBN: 978-3-8062-4340-6

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