Medien & Gesellschaft

Gespaltene Geschichte

Den Fritz Teufel und den Florian Havemann trennten nicht nur Jahre. Es trennten den Westberliner und den Ostberliner die Mauer. Es trennten sie die Ereignisse, die sie in dem Jahr hatten, das zu einem   d e r  Jahre des 20. Jahrhunderts wurde: 1968!  Für Teufel war es das Jahr der „Studentenrevolte“. Für Havemann war es das Jahr, in dem die Truppen des Warschauer Vertrages dem „Prager Frühling“ den Sommer verhagelten. Teufel und Havemann wurden durch ihre Handlungen Teil der Geschichte von 1968. Das Jahr war gespalten wie Berlin und Deutschland gespalten waren.

Prangt nun mit großen Ziffern auf dem Einband einer Publikation die Jahreszahl 1968, sind auf einem Foto die Protestierer Peter Weiss und, mit halbem Profil, Rudi Dutschke zu sehen, ist klar, wofür der Band „1968“ steht. Ganz sicher nicht für das, was Florian Havemann das Jahr 1968 bedeutete. Es hat sich in den Köpfen der Medienleute, in denen der Historiker, Philosophen, Soziologen Westeuropas etwas Fatales eingenistet. Sie reklamieren 1968 für ihre, die westeuropäischen Ereignisse des Jahres. Dabei ist es geblieben. Auch in dem Deutschland, das aus BRD und DDR zusammengeschweißt wurde. Die deutsche Geschichte als Ganzes gesehen, ist die Nichtbeachtung des osteuropäischen 1968 weniger die Dummheit von Ignoranten, es ist die Arroganz der Unachtsamen. Was also von einer Publikation halten, die sich selbst als „Eine Enzyklopädie“ zum Jahr „1968“ preist? Ist das die „Gesamtheit des Wissens“, was den Lesern da geliefert wird? Nimmt man die in einer Randspalte aufgelisteten Tagesereignisse, ist  „1968“ die komplette Chronik der Geschehnisse des Jahres. So bleibt nicht völlig ausgespart, was im August 1968 in der Tschechoslowakei und vor allem in Prag geschah. Mehr muß nicht sein! Bloß kein Bild, wo man sich schon mit der Bebilderung des westlichen Achtundsechzig schwer tut. Die Enzyklopädie will eine komprimierte Sammlung „der Quellen“ sein, die die Studenten nährten. Also ein Buch der Auftritte intellektueller, linker Geister des 19. und 20. Jahrhunderts. Einschließlich Marx und Luxemburg, Benjamin und Sartre, Adorno,Marcuse und Habermas.

Wer muß das heute haben? Die, die längst den Nadelstreifen übergezogen haben, die sich in den gesellschaftlichen Institutionen als Beamte etablierten? Die wohl nicht! Wer liest seine Reclam-Heftchen ein zweites Mal? Die von Rudolf Sievers zusammengestellte Enzyklopädie bestätigt: Wo viel Theorie vagabundiert ist wenig Praxis! Ist die Enzyklopädie eine geistige Bestandsaufnahme zu einem „der dichtesten Jahre der Weltgeschichte“, wie Peter Sloterdijk laut tönte, dann ist das Buch allzu undicht. Zuviel der anderen Weltgeschichte – siehe oben – ist abgeflossen.

Bernd Heimberger
25.02.2008

 
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Das Buch:

Rudolf Sievers (Hg.): 1968. Eine Enzyklopädie

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Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2008
492 S., € 18,00
ISBN: 978-3518133378

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