Medien & Gesellschaft

Ein Ausweg aus der komplizierten Wirklichkeit?!

"Wer den Schaden hat, braucht f?r den Spott nicht zu sorgen." Diese altbekannte Lebensweisheit trifft auch auf Eva Herman und ihr Buch zu. "Jetzt ist sie versto?en diese Ewiggestrige, jetzt hat sie auch noch einen braunen Touch", wie es die stellvertretende Chefredakteurin der Welt Andrea Seibel formuliert. Jeder konnte es sehen in der Talkshow bei Johannes B. Kerner. Der Publizist Henryk M. Broder charakterisierte in einem Spiegelbeitrag die Talkshowsendung als "Tribunal der Selbstgerechten", dessen Urteil schon vorher feststand. Pers?nliche Diffamierungen stehen demnach im Vordergrund, wenn es um das Buch von Eva Herman geht. Der geneigte Leser m?chte jedoch erfahren, was denn nun eigentlich im Buch steht.

Schon der Klappentext des Buches macht deutlich, welche Ziele Eva Herman mit der Streitschrift verfolgt. Es sei ein "einleuchtendes Pl?doyer f?r eine neue Familienkultur und f?r ein gesellschaftliches Umdenken ? f?r eine Zukunft, die auf ihre Fundamente bauen kann." Eine neue Solidarit?t in den Familien und in der Gesellschaft sei ihrer Ansicht nach n?tig, um die bedrohlichen Zersetzungsprozesse in unserer gegenw?rtigen Gesellschaft zu b?ndigen. Die biblische Geschichte von der Arche Noah habe sie dazu inspiriert, das Buch zu schreiben: "Auch die Familie kann eine Arche Noah sein, ein sicheres Schiff mit einer Zukunft, die uns ein ?berleben garantiert."

Die 68er Bewegung und der Feminismus ? ein Phyrussieg?

Herman ist der Ansicht, dass gerade die Frau von heute es schwer hat, die "wahre Weiblichkeit" auszuleben. Die Ursachen f?r diese Entwicklung l?gen bei der 68er-Generation und beim Feminismus, der Frauen den Zugang zum Selbstverst?ndnis des Begriffs Familie schwer mache.
Ist es wirklich so? Allgegenw?rtig ist jedenfalls das Leitbild der berufst?tigen Frau und Mutter, die die Doppelbelastung ohne signifikante Schwierigkeiten meistert. Dieses propagierte Leitbild dient Hermans Ansicht nach eher dazu, politische und wirtschaftliche Interessen zu verfolgen. Unter dem Deckm?ntelchen der Familienfreundlichkeit soll die Gleichstellung von Mann und Frau auf dem Wege der Vollbesch?ftigung verwirklicht werden und gleichzeitig die Erh?hung der Frauenerwerbsquote das Fachkr?fteproblem gel?st werden. Herman findet diese Entwicklung sehr gef?hrlich, denn der Familienverband werde dadurch zerst?rt. Demnach m?sse es eher darum gehen, den Frauen die reale M?glichkeit einzur?umen, ihre Kinder in den ersten drei Jahren zu begleiten, ohne dabei ihre beruflichen Ambitionen aufzugeben. Mit anderen Worten: Die Selbstverwirklichung finde man auch in der Familie, die sowohl durch den Staat als auch durch die Gesellschaft mehr unterst?tzt werden sollte.

Die Identit?tskrise des Mannes

Herman ist der Auffassung, dass der Mann sich mehr und mehr seiner Verantwortung entzieht, weil Frauen und Kinder ihn in seiner Freiheit zu sehr einschr?nken w?rden. Das Fluchtverhalten bzw. die Verunsicherung des Mannes seien eine Folge der Feminismus und der Emanzipation, die die Identit?t des Mannes in Frage gestellt h?tten. Herman beruft sich dabei auf wissenschaftliche Studien, um die ambivalenten Geschlechterbilder in den K?pfen von Mann und Frau zu erl?utern. Die herangezogenen Studien zeigen deutlich, dass der f?rsorgliche Hausmann immer noch eher eine Illusion in unserer heutigen Gesellschaft ist. Verbal mag es daf?r eine gro?e Aufgeschlossenheit geben, aber eine bestehende Reserviertheit bei der Umsetzung ist bei beiden Geschlechtern festzustellen. Hermann erkl?rt sich die Reserviertheit durch den "sch?pfungsgewollten, also naturgegebenen unterschiedlichen Auftrags der beiden Geschlechter." ?berzeugend ist Hermans Erkl?rung nicht. Vielmehr sollte es das Bestreben einer erfolgreichen Geschlechterpolitik sein, in allen gesellschaftlichen Bereichen die traditionellen und einengenden Geschlechterbilder in Frage zu stellen und neue Leitbilder zu entwerfen, die den Anforderungen der heutigen Zeit entsprechen.

Anmerkungen zur Kinderbetreuung ? Mummy oder Nanny?

Herman favorisiert ganz eindeutig die Betreuung der Kleinkinder (bis zu drei Jahren) durch die Mutter und widerspricht der weitl?ufigen Auffassung, dass die Kinderbetreuung durch p?dagogische Profis besser f?r die Entwicklung des Kindes sei. Sie st?tzt sich dabei auf Studien aus der S?uglings- und Bindungswissenschaft, die belegen, dass f?r die fr?hkindliche Psyche die sichere und dauerhafte Bindung an Bezugspersonen die Grundvoraussetzung daf?r ist, um unbeschadet aufwachsen zu k?nnen. Demnach w?re es nach Hermans Ansicht besser, Erziehungsarbeit als bezahlte Arbeit zu honorieren, anstatt die professionellen Angebote der Kinderbetreuung auszubauen. Eine konstruktive Debatte dar?ber ist allerdings schwer m?glich, wenn man wie Herman die professionelle Betreuung diskreditiert. Die komplizierte Wirklichkeit erfordert gerade flexiblere Gestaltungsm?glichkeiten f?r die Kinderbetreuung und f?r die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Anstatt die Schlagworte der medialen Debatte ?ber Eva Herman und ihr Buch aufzugreifen, sollte der Leser sich selbstkritisch ein eigenst?ndiges Urteil durch die Lekt?re des Buches bilden. Die Analyseans?tze des Buches sollten mitbedacht werden bei der Debatte ?ber die Rollenverteilung im 21. Jahrhundert. Die sozialmoralischen Appelle und Antworten im Buch sind jedoch oftmals verschwommen und reichen nicht f?r eine Streitschrift aus. Erschwert wird die Lekt?re durch den Sprachstil des Buches, denn er ist sehr emotional gef?rbt, stellenweise sogar sehr pathetisch oder auch religi?s durchzogen. So entsteht der Eindruck bei der Lekt?re des Buches, dass das einzig "wahre" Gl?ck in der Wiederentdeckung der traditionellen Kernfamilie zu finden ist.

Jens Meiselwitz
23.01.2008

 
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Das Buch:

Eva Herman: Das Prinzip Arche Noah. Warum wir die Familie retten müssen

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München: Pendo Verlag 2007
247 S., € 18,00
ISBN: 978-3-86612-133-1

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