Biographie

Der Diplomat zwischen den Pfosten

Sein Name ist verknüpft mit der unglaublichsten Geschichte, die je einem Fußballer widerfahren zu sein scheint. Im englischen FA-Cup-Finale am 5. Mai 1956 führt Manchester City vor über 100.000 Zuschauern im Londoner Wembley-Stadion eine Viertelstunde vor Schluss mit 3:1 gegen Birmingham City, als sich Bert Trautmann, der deutsche Torwart der "Citizens", einem Angriff von Birminghams Stürmer Peter Murphy wagemutig entgegenwirft. Dabei wird der gebürtige Bremer unglücklich im Nacken getroffen. Da zur damaligen Zeit Auswechslungen noch nicht vorgesehen waren, spielt Trautmann unter großen Schmerzen weiter. Er torkelt dabei die meiste Zeit durch seinen Strafraum, wehrt jedoch noch einige Angriffe erfolgreich ab. Erst nach dem Spiel wird das ganze Ausmaß sichtbar: Trautmann hatte sich bei dem Zusammenstoß einen Genickbruch zugezogen und mehrere Halswirbel ausgerenkt, was durchaus auch tödlich hätte enden können.

Diese Begebenheit aus dem FA-Cup-Finale von 1956 ist diejenige Episode aus dem Leben Trautmanns, die jedem Fußballfreund als erstes in den Sinn kommt, wenn die Sprache auf den Mann kommt, der sich mehr um die Völkerverständigungen zwischen England und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg verdient gemacht als sämtliche Politiker hüben wie drüben. Bert Trautmann bestritt von 1949 bis zu seinem Karriereende im Jahre 1964 mehr als 500 Spiele für Manchester City. Er galt in den Fünfzigern unbestritten als der beste Torhüter auf der Insel und hatte sich dank seiner Reflexe und seines Wagemuts derart viel Respekt bei gegnerischen Stürmern wie auch Fußballfans erarbeitet, dass er 1956 als erster Kicker vom Kontinent zum Fußballer des Jahres in England gewählt wurde. Die Fans von Manchester City erkoren ihn am Ende des 20. Jahrhunderts gar zu Citys Spieler des Jahrhunderts.

Doch Bert Trautmann ist weit mehr als nur ein erfolgreicher Fußballer. Seine gesamte Lebensgeschichte ist derart erzählenswert, dass es einen verwundern mag, wie wenige Biographien Trautmanns vorliegen, um von dessen Leben zu berichten. Die englische BBC-Journalistin Catrine Clay hat sich der Geschichte Trautmanns angenommen und vor zwei Jahren ihr preisgekröntes Werk im englischen Original auf den Markt gebracht. "Trautmann´s Journey" gewann 2011 unter anderem den angesehen "British Sports Book Awards" in der Kategorie "Beste Biographie". Für die deutsche Ausgabe, die dieser Tage erschienen ist, wurde die Übersetzung von Clays höchst lesenswerter Biographie in ein Sandwich gepackt, das mit einem Vorwort des DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach einleitet und mit einem ausführlichen Epilog des SWR-Redakteurs und Trautmann-Kenners Michael Dittrich endet.

Clay beginnt ihre Geschichte mit dem jungen Bernhard Trautmann, der 1923 in Bremen geboren wurde und in seinen Kindertagen noch "Berni" gerufen wurde. Zum "Bert" wurde er erst später auf der britischen Insel, da sein richtiger Vorname den englischsprachigen Fans zu schwer über die Lippen ging. Trautmanns Kindheit erfuhr wenige unbeschwerte Jahre, bevor mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten auch sein Leben begann, fremdbestimmt zu werden. Trautmann selbst jedoch genoss seine Zeit in der Hitlerjugend, da er dem Sport frönen konnte und für seine Leistungen Anerkennung fand. Die Absicht der Nazis mit Hilfe der Hitlerjugend Legionen von jungen und willigen Soldaten heranzuziehen, ging bei Trautmann vollends auf. Als 17-Jähriger meldete dieser sich freiwillig für den Einsatz im Russland-Feldzug.

Bereits in seinen Kriegsjahren sollte Trautmann mindestens so viel Glück beschieden sein wie später im FA-Cup-Finale gegen Birmingham City. Mehrfach kam er trotz gefährlicher Einsätze an der Ost- wie auch der Westfront nur knapp mit dem Leben davon. Sein größtes Glück sollte ihm jedoch dadurch beschieden werden, als er in englische Gefangenschaft geriet. Der einst so überzeugte Nationalsozialist Trautmann lernte in den englischen Kriegsgefangenenlagern mit Begeisterung die englische Demokratie und damit verbundene Einstellung der Menschen kennen und so sehr schätzen, dass er die folgenden Jahrzehnte seines Lebens auf der Insel verbringen sollte.

Erst mit 25 Jahren begann Trautmann schließlich, seine größte Leidenschaft ernsthaft zu verfolgen, als er bei dem unterklassigen Club St. Helens Town den Torwart gab. Die Späher höherklassiger Vereine wurden rasch aufmerksam auf den blonden Deutschen zwischen den Pfosten, so dass ihm trotz einiger Vorbehalte in der englischen Bevölkerung der Weg in die großen Stadien Englands geebnet wurde.

"Trautmanns Weg" ist - wie der Name des Buches bereits klarmacht - keine ausschließliche Glorifizierung des Keepers Trautmann, sondern beschäftigt sich primär mit seinem Lebensweg bis hin in die höchste englische Fußball-Liga. Von den fünfzehn Kapiteln des Buches befassen sich gerade einmal die letzten zweieinhalb Kapitel mit seinen Erfolgen zwischen den Pfosten. Vielmehr konzentriert sich Catrine Clay, die unzählige Gespräche mit Trautmann in den letzten zehn Jahren seines Lebens geführt hatte, auf die ersten zweieinhalb Jahrzehnte in Trautmanns Leben, auf den Jungen, der unweigerlich in Hitlers Gesellschaft hineinwuchs, sich vom Nationalsozialismus verführen und überzeugen ließ, und auf den heranwachsenden Mann, der freiwillig in den Krieg zog und die Schrecken für sich als notwendiges Übel des Krieges akzeptierte.

Somit wird "Trautmanns Weg" neben einer Fußballer-Biografie vor allem zu einem interessanten Geschichtswerk, das an einem Einzelschicksal festgemacht den Wahnsinn des Nationalsozialismus und die Schrecken des Zweiten Weltkriegs anschaulich macht. Die Autorin erzählt dabei die geschichtlichen Entwicklungen der dreißiger und vierziger Jahre aus der englischen Perspektive und parallel dazu begleitet sie den jungen Bernhard Trautmann auf seinem Weg in und durch den Krieg. Daher setzt Clay naturgemäß auch andere Schwerpunkte als diejenigen geschichtlichen Dokumentationen, die mit dem hiesigen Blickwinkel versehen sind und die man hierzulande von Guido Knopp präsentiert bekommt.

Das vorliegende Buch wurde - wen wundert´s - vom Göttinger Verlag Die Werkstatt auf den Weg gebracht. Wenn hochklassige Fußball-Literatur auf den deutschen Markt kommt, dann stets über den Kanal dieses Verlages, der von Fußballkennern nicht hoch genug geschätzt werden kann. Bert Trautmann selbst konnte jedoch den Weg dieser Biografie in die deutschen Buchläden leider nicht mehr begleiten und miterleben, denn der große Völkerverständiger zwischen den zwei Pfosten verstarb wenige Monate vor seinem neunzigsten Geburtstag am 13. Juli dieses Jahres auf seinem spanischen Altersruhesitz.

Christoph Mahnel
28.10.2013

 
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Das Buch:

Catrine Clay: Trautmanns Weg - Vom Hitlerjungen zur englischen Fußball-Legende. Aus dem Englischen von Olaf Bentkämper

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Göttingen: Verlag Die Werkstatt 2013
320 S., € 24,90
ISBN: 978-3-7307-0045-7

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