Biographie

Eine Olympionikin aus dem ugandischen Slum

Phiona Mutesi lebt in Uganda, einem Land in Ostafrika, das den meisten Menschen hierzulande vor allem aufgrund der Schreckensherrschaft von Idi Amin in den Siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein Begriff sein dürfte. Ihr Vater starb an AIDS, als Phiona drei war. Mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern lebt sie in Katwe, einem Stadtteil der Hauptstadt Kampala. Katwe ist praktisch ein riesengroßer Slum, in dem der Lebensweg für Mädchen wie Phiona vorgezeichnet zu sein scheint. Doch eines Tages begegnet sie Robert Katende und seinem Schachprojekt, was ihr Leben komplett verändern wird. Von nun an werden Schach und ihre Freunde rund um die 64 Felder Phionas Leben bestimmen und zum Positiven wenden.

Phiona Mutesi entwickelt nach Erlernen der Schachregeln derart rasch ein Talent für das königliche Spiel, dass Katende und die besten Jungs in der Schachgruppe Phiona weiter fordern und fördern. Schach führt Phiona schließlich zum ersten Mal in ihrem Leben aus Katwe heraus und das gleich mit dem Flugzeug über die Landesgrenzen in den Sudan zu einem Turnier, das Phionas Mannschaft für sich entscheidet. Im Jahre 2010 geschieht dann die Sensation: Phiona qualifiziert sich auf nationaler Ebene für das ugandische Damenteam, das an der Schach-Olympiade im sibirischen Chanty-Mansijsk teilnehmen darf.

Dem US-amerikanischen Journalisten Tim Crothers wurde im selben Jahr, als Phiona zur Olympionikin wurde, die unglaubliche Geschichte des jungen Mädchens aus den Slums von Katwe zugetragen. Crothers nahm Kontakt mit ESPN auf, die ihn umgehend nach Uganda schickten, um einen Artikel über Phiona zu verfassen. Doch Crothers begriff schnell, dass diese Geschichte viel zu groß war für einen einzigen Artikel. Herausgekommen ist nach knapp zwei Jahren das vorliegende Buch, das im Original den Titel "The Queen of Katwe" trägt und dabei eine gelungene Doppeldeutigkeit beinhaltet, da die Dame als mächtigste Figur im Schachspiel im Englischen "Queen" heißt.

"Das Mädchen, das barfuß Schach spielte" ist über weite Strecken ein trauriges Buch - dann nämlich, wenn die bisherigen Lebenswege sämtlicher Protagonisten wie Phiona, ihrer Familie, Robert Katende und anderer Jungen und Mädchen aus der Schachgruppe geschildert werden. Doch zeigt es im gleichen Zuge, wie viel Hoffnung es in den Herzen dieser Menschen gibt. Anfangs beäugen viele Robert Katendes Schachprojekt sehr kritisch, doch lernen die Kinder recht schnell aus diesem Spiel für ihr eigenes Leben: Wer aufgibt, der hat bereits verloren. Wer hingegen weiterkämpft, kann am Ende immer noch ein Sieger sein. So oder ähnlich ziehen die jungen Schacheleven in Katwe ganz unbewusst ihre Lehren für eine positive Lebenseinstellung.

Natürlich verbreitet sich die Nachricht von Phionas großen Erfolgen wie ein Lauffeuer in Katwe, Kampala und ganz Uganda. Nachdem sie bei ihrer ersten Olympiateilnahme noch arg mit ihren Nerven zu kämpfen hatte und lediglich eine Partie siegreich gestalten konnte, nimmt Phionas Siegeszug anschließend seinen Lauf. Sie spielt sogar einen Schaukampf gegen den ehemaligen Weltmeister Garri Kasparow und trifft sich mit ihm zu einem öffentlichen Interview. Sie heimst auf nationaler Ebene Titel um Titel ein, doch bleibt sie weiterhin Phiona, das Mädchen aus Katwe.

Tim Crothers arbeitet in dem vorliegenden Buch sehr gut die emotionalen Höhepunkte in Phionas Leben heraus. Sobald er sich jedoch an Fakten rund um den Schachsport heranwagt, steht sein Buch auf wackligen Beinen. In seinen historischen Ausführungen berichtet Crothers vom Tschechen Wilhelm Steinitz, dem ersten Weltmeister der Schachgeschichte. Obgleich Steinitz in Prag geboren wurde, war er jedoch Österreicher und kein Tscheche. Auch Crothers' Einschätzungen von Phionas Schachkunst werden Expertenkommentaren nicht standhalten. Sicherlich ist Phiona Mutesi eine grandiose Schachspielerin, bedenkt man ihr junges Alter, ihre soziale Herkunft und die Tatsache, dass sie bis dato weder Schachliteratur noch Schachcomputer in ihr Training miteinbezogen hat, doch wird sie nie bis in die Weltelite des Frauenschachs vorstoßen können.

Jedoch zeigt dieses Buch ganz deutlich, dass man nicht immer den allerhöchsten Gipfel erklimmen muss, um Berge zu versetzen. Phiona Mutesi ist mit ihrer Entdeckung des Schachspiels sowie ihrer anschließenden schachlichen Entwicklung etwas gelungen, das sowohl ihrem eigenen Leben eine Wende zum Positiven gegeben hat als auch vielen Kindern - ob in Katwe oder sonst wo auf der Erde - Hoffnung auf eine glückliche Zukunft macht. Und genau dieses in privilegierten Zivilisationen abhanden gekommene "You can do it" bringt Tim Crothers in "Das Mädchen, das barfuß Schach spielte" auf den Punkt und macht es zu einem absolut lesenswerten Buch, garantiert auch für Nicht-Schachspieler.

Christoph Mahnel
30.09.2013

 
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Das Buch:

Tim Crothers: Das Mädchen, das barfuß Schach spielte. Aus dem Amerikanischen von Liselotte Prugger

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München: btb Verlag 2013
304 S., € 19,99
ISBN: 978-3-442-75362-8

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