Biographie
Gemeinsam auch gegeneinander
Hat sie sich, oder hat sie sich ihm nicht an den Hals geh?ngt? Hat sie sich, oder sie sich nicht auf den Scho? gesetzt? Schlief sie, oder schlief sie nicht ?an seiner Brust ein?? Sie schlief ein. Sie lie? sich "auf?s Knie" ziehen. Sie "flog...ihm an den Hals?. Das, so ?ffentlich bekannt und bekanntgemacht, klingt nach der schw?rmerischen Phantasie einer F?nfzigj?hrigen, die ihre Begegnung mit Goethe erkl?rte, die sie hatte, als sie, Bettina von Arnim ? Brentano -, 18 Jahre war. Was die Schriftstellerin in ?Goethes Briefwechsel mit einem Kinde" notierte, zitiert Hartwig Schulz wiederholt in seinem Buch "Unsre Lieb aber ist au?erkohren". Gemeint ist nicht eine omin?se Liebschaft mit Meister Goethe. Thema des Buches ist die so wenig prek?re wie peinliche Liebe zwischen Bettine und ihrem Bruder Clemens Brentano. Umschmeichelt die nie zur?ckhaltende Schwester den br?derlichen Schw?rmer mit der Bemerkung "wir schlafen in einem Bett", so kann man?s sowohl im symbolischen wie konkreten Sinne verstehen. Abermals stellt sich die Frage: Haben sie nun, oder haben sie nicht? So viele Fragen, so viele Antworten!
Schultz, der Wissenschaftler, achtet auf das Seri?se und ist auf Seri?sit?t bedacht. Vom gef?hrlichen und gef?hrdenden Strudel der Spekulation h?lt er sich fern. Der Fachmann hat nichts zu enth?llen oder zu entschleiern. ?berliefertes, ?berpr?ftes zu pr?fen, macht den Reiz seines wissenschaftlichen Erkundens aus. Zu pr?fen, was die Neigung der J?ngeren zu dem als sechs Jahre ?lteren tats?chlich ausmachte. Das nicht der Interpretation zu ?berlassen. Die innigen, intensiven Briefe der Geschwister offenbaren einiges wie die ?berschw?ngliche Art, mit der die Texte formuliert wurden. Hemmungslos. Selbstvergessen. Narzi?tisch. Der Germanist hat keine Scheu, die Vokabeln "Geschwisterliebe" und "Lebensgemeinschaft" auszusprechen. Im landl?ufigen Sinne taugen beide Vokabeln nicht, um die besondere Beziehung von Bettine und Clemens zu beurteilen. "Unsre Lieb aber ist au?erkohren" ist ein Buch der Dokumente, das eine geschwisterliche Liebe und zeitweilige Lebensgemeinschaft dokumentiert.
Schultz fa?t die Energien, das Engagement, die Eitelkeiten und Empfindungen der "exaltierten Geschwister" zusammen und was ihre Eigenschaften im Leben bewirkten. In der Gemeinsamkeit, der das Gegeneinander nicht fremd war, f?hlten sich Bettine und Clemens als Zwillingsgeschwister. Untrennbar trotz aller Trennungen. Postalisch dauerten die fast zwei Jahrzehnte und pers?nlich fast ebenso lange. Ein knappes Jahrzehnt blieb Beiden f?r den wiederaufgenommenen Briefwechsel. Die innere, innige Bindung von Bruder und Schwester war, was Geschwisterliebe genannt wird. Zumindest vom Autor. Der mu? nicht ausf?hren, da? die Beziehung Clemens ? Bettine erst beendet ist, als auch die Schwester, gut 16 Jahre nach dem Bruder, stirbt. So unkonventionell, unkontrolliert, das hei?t selbstinzeniert, bestenfalls selbstbestimmt, Bettine und Clemens auch auftraten: die Kleine war die Gro?e, die ?berlegenere, Gescheitere, Konsequentere. Was Bettines ?berlegenheit, Gescheitheit, Konsequenz f?r Folgen hatte in ihrer Zeit, f?r die Zeit, das heraus- und hervorzuheben, ist auch die Absicht des Autors.
Der hat f?r seine Brentano-Biographie bereits reichlich Applaus bekommen. Das Geschwisterbuch wird auf die wie ein Magnet wirken, die es ohnehin mit Bettine und Clemens halten. Die gesamte Armin-Brentano-Gemeinde kann sich freuen und l?uft nicht Gefahr, in feindlichen Debatten zu geraten. Der wissenschaftlichen Gr?ndlichkeit, geh?rt Hartwig Schultz nicht zu den penetranten Schreibern, die ihre Sprache die Mehrzahl der Leser aussperren. Schultz schreibt, da? ihn versteht, wer sich konzentrieren kann auf sein detailreiches Dokumentarbuch "Unsre Lieb aber ist au?erkohren".
Bernd Heimberger
12.09.2005