Biographie
Verschüttet und verschwiegen
Nanu? Hatten wir nicht "gerade"...? Ja, wir hatten 2002 eine Inge M?ller ? Biographie. Verfa?t von Ines Geipel. Wieso nun schon wieder eine Inge M?ller ? Biographie? Weil Sonja Hilzinger, Autorin der j?ngsten Biographie, ihre begonnene Arbeit nicht aufgeben wollte, als die von Geipel geschriebene erschien? Weil nicht genug getan werden kann, um Inge M?ller ins Bewusstsein der ?ffentlichkeit zu bringen? Wer war denn diese M?ller (1925-1966), die sich mit Gas vergiftete?
Vielen, auch in der literarischen Welt der DDR, war sie unbekannt. Lyriker wie Bernd Jentzsch und Richard Pietra? waren es, die sich bem?hten, die Unbekannte vorm v?lligen Vergessen zu retten. Das wei? Hilzinger in ihrem Buch "Das Leben f?ngt heute an" zu werten und zu w?rdigen. Wertend, verliert sich der Wille zu w?rdigen, wenn die Biographin ?ber den dritten Ehemann der Ingeborg M?ller, geborene Mayer, spricht. Der Dritte war Heiner M?ller. Der verga? nicht nur das Grab seiner Frau. Schnell wurde er verschwiegen, sobald die Mit-Autorenschaft der Inge an gemeinsamen dramatischen Arbeiten ins Gespr?ch kam. Versch?tteten die Bomben, die auch noch im April 1945 auf Berlin fielen, die Zwanzigj?hrige, so versch?ttete Heiner M?ller die Autorenschaft der Verstorbenen. Mit dem 1976 von Jentzsch herausgegebenen Inge M?ller ? Poesiealbum kam wieder etwas vom Werk zum Vorschein. St?rker trat das hervor, als Pietra? 1985 die Ver?ffentlichung des Gedichtbandes "Wenn ich schon sterben mu?" erm?glichte.
Hilzinger h?lt sich nicht mit Entschuldigungen auf, die Heiner M?ller gelten k?nnten. Sie klagt ihn auch nicht an, ein Verhinderer zu sein. Sie versucht sogar, den Heiner ein wenig zu verstehen. Zuerst aber verst?ndigt sich Frau Hilzinger ?ber Frau M?ller. Das Buch der Literaturwissenschaftlerin ist gepr?gt vom schwesterlich-solidarischen Gef?hl f?r Inge M?ller. Hilzinger sieht und sp?rt die stets pflichtbewusste Pflichterf?llerin, die f?r ihre Kinder-M?nner, M?nner-Kinder zu sorgen hatte. Das bedeutete f?r Bernd, den Sohn, f?r Wolfgang den geliebten, minderj?hrigen Bruder des Angetrauten Heiner. Hilzinger sieht und sp?rt die Frau, die ihr Schreiben, das Schreiben des Eigenen, gegen alle kollektivistischen Ein- und Anspr?che verteidigte. Ist Inge M?ller, ein halbes Jahr nach dem verheerenden 11. Plenum des ZK der SED, ein reales menschliches Opfer der ideologischen Hatz der Einheitspartei geworden? Die Wissenschaftlerin legt sich nicht fest. Nicht so fest wie in ihrem begr?ndet-kritischen Urteil ?ber Heiner M?ller. Begr?ndet, weil sie intensiver, konsequenter als Geipel die Arbeitslinie der Inge M?ller angeschaut hat.
So wichtig der Verfasserin von "Das Leben f?ngt heute an" die Lebensgeschichten der Inge M?ller sind, wesentlicher ist ihr die Literatur der Schriftstellerin, die nicht w?re, wie sie ist, w?re nicht das tragische Geschen des Jahres 45 gewesen. Ines Geipel, die Autorin, ist die erz?hlerische, emotionalere Biographin, Sonja Hilzinger, die Akademikerin, die essayisterischere, rationalere Biographin. Von einer Akademikerin geschrieben, ist "Das Leben f?ngt heute an" eher etwas f?r Akademiker. Darauf verzichten? Mitnichten! Obwohl Sonja Hilzinger vieles wiederholt, sich selbst h?ufig wiederholt, ist ihre Biographie eine Erg?nzung und Erweiterung zum Buch von Ines Geipel. F?r Inge M?ller ist noch immer nicht genug getan!
Bernd Heimberger
09.09.2005