Biographie
Die Suche nach Authentizität
Was k?nnte f?r eine Biographie ausschlaggebender sein, als die Suche nach Authentizit?t, eine Suche, die f?r Jean Am?ry existentielle Bedeutsamkeit hatte ? das Ungen?gen am eigenen Namen, der dann auch, so meint man, fast st?ndlich variiert wurde, bis endlich mit der franz?sisierenden Schreibung des banalen "Hans Mayer" eine Identifikationsm?glichkeit gefunden wurde, ist nur ein Indiz hierf?r. Eine Suche, die sich f?r Am?ry aber sp?testens mit seinem "Diskurs ?ber den Freitod" zerschlagen hat, wo er schreibt: "Wer von uns k?nnte hervortreten mit der tollk?hnen Versicherung, er habe nicht L?ge gelebt, sondern seine ureigene Authentizit?t? Keiner. Denn diese, die sich st?ndig aufbaut, nur um sie selbst zu sein, sich in Permanenz zerst?rt, verschwindet, je eifriger einer ihr nachjagt, um so hurtiger irgendwo im Nebel."
Heidelberger-Leonhards Suche nach der Integrit?t des experimentierfreudigen Dichters, genialen Essayisten und nicht zuletzt eigenwilligen Philosophen, der bis in die tiefsten Schichten des Menschseins hinabstieg, um diese ohne jede R?cksicht auf eigene und fremde ?ngste und Vorurteile auszuleuchten, tastet sich behutsam an den Lebensspuren ? von der "gew?hnlichen" Kindheit im ?sterreichischen Bad Ischl ?ber die schweren Jahre der Konzentrationslagerhaft bis hin zum Suizid ? entlang, wobei das grunds?tzliche Interesse nat?rlich dem essayistischen und insbesondere dem literarischen ?uvre gilt. Und so steht am Ende der Lekt?re die paradoxe Erkenntnis, dass sich die Authentizit?t dieses gro?en Gegen-sich-selbst-Denkers gerade ?ber Negativit?t herstellt: ?ber die Suche nach Heimat, den "Zwang" und die gleichzeitige "Unm?glichkeit, Jude zu sein", den autonomen Tod, der doch ins Nirgendwo f?hrt. Am?ry selbst hat die Grundformel seines Lebens in den "Schiffbr?chigen", seinem ersten Roman, als "heroischen Nihilismus" bezeichnet, "ein Durchhalten trotz aller Erkenntnis der Sinnlosigkeit". Der Untertitel der Biographie zitiert diese Spannung, die ihm zuletzt unertr?glich geworden ist.
Einen sehr positiven Eindruck hinterl?sst Heidelberger-Leonhards Buch, das aufgrund seiner tiefsinnigen Analysen als eine Art geistiger ?berbau zu den von Klett-Cotta herausgegebenen Gesammelten Werken Jean Am?rys gelten kann, vor allen Dingen deshalb, weil sie sich, neben der oft und vielgelobten Essayistik, einer Herzensangelegenheit des Autors widmet: dem erz?hlerischen Werk, in dem er sich am unverh?lltesten gibt, und mit dem er doch nie den Durchbruch schaffte, den er sich so sehnlich w?nschte. Sind seine unzeitgem??en Betrachtungen in "Schuld und S?hne" mit entsprechendem Beifall begr??t worden, so ist ihm dieser hinsichtlich seines mit modernen Erz?hlstrategien arbeitenden Romans "Lefeu oder Der Abbruch" verwehrt worden ? ein Foto seines Exemplars ? zerrissen ? gibt Auskunft ?ber die schwere Entt?uschung; die Bef?rchtung, er werde nur als "Berufsjude und KZler" ernstgenommen, schien endg?ltig best?tigt.
Eine Re-Lekt?re des Erz?hlers Am?ry ist demnach dringend erforderlich; der unabl?ssig im Auftrag von Wahrheit und Menschlichkeit k?mpfende Aufkl?rer und Humanist Am?ry hingegen d?rfte bereits zu Lebzeiten unausl?schlich ins kulturelle Ged?chtnis (zumindest) der deutschen Nation eingegangen sein.
Nicole St?cker
03.10.2004