Biographie

Posen und Positionen

Der Titel ist das Letzte! Er ist lächerlich. Der Titel "Der letzte Kommunist". Was sind Castro & Co? Was sind Harich, Bahro, Hacks, die im guten Glauben gen Himmel fuhren, die letzten, einzigen Kommunisten zu sein? Lassen wir das! Als "letzter Kommunist" wurde jüngst Ronald M. Schernikau ausgerufen. Schernikau? Nie gehört?! Wie denn auch? Woher denn auch? Weshalb denn auch? Weil er der erklärte letzte Kommunist ist? Eine Deklaration, die Schernikau (trotz der Schmeichelei) eventuell empört hätte. War sich der Kommunist Schernikau nicht sicher, dass die Kommunisten nie aussterben? Selbstverliebt, war das seine Gewissheit, weil er Kommunist war, und nicht der letzte. 1960 in Magdeburg geboren, starb Schernikau 1991 in Berlin (Ost). Das sieht nach einer geradlinigen Lebenslinie aus. Genau das war die des unvollendeten Schriftstellers jedoch nicht.

Ronald Schernikau war ein demonstrativer Demonstrant, immer und in allem. Er liebte die Pose wie die Position. Gern bestimmte er posierend seine Positionen. Die des ungehemmten Schwulen. Die der "Milva der Literatur". Die des unerschütterlichen Kommunisten. Positionen, für die er kaum einer Laune wegen posiert hätte. Für die Positionen einzustehen, war ihm heilig. Schernikau vertrat und verteidigte sie mit allem nötigen Ernst, mit allem möglichen Einsatz. Das heißt mit allen erdenklichen gewitzten, witzigen, charmanten bis dreisten Posen. Schernikau war ein Schau-Spieler. Als der wollte er unterhalten. Als der wollte er unterhalten sein und sich nie langweilen. Schon gar nicht durch sich selbst.

Ihn einen Außenseiter, einen Exoten, einen Extremisten nennen? Einen jungen Mann, den es in den Mittelpunkt drängte? Ihn einen "Wanderer zwischen den Welten" nennen? Genau das tut Matthias Frings. Er behauptet, nicht zu wissen, wer Schernikau war. Er weiß es aber trotzdem. Frings kannte Schernikau als lustvoll Umtriebigen, als sorgengequälten Schriftsteller, als standhaften Kommunisten. Frings fühlt sich als Freund. Frings schreibt als Freund über den Freund. Er ist der Biograph des als Kommunisten abgestempelten Schernikau. Die Biographie gibt vor "Das traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau" zu schildern. Der Untertitel ist in keiner Silbe gescheiter als der Titel und sicher nicht dem Verfasser geschuldet. Dem Biographen ist nur zu gut bekannt, wie wenig traumhaft die irdischen Tage des Kollegen waren. Die traumatischen Stunden Schernikaus sind das Thema des Buches. Sie machen die Biographie zu einer Biographie mit Bedeutung und somit von Belang.

Als Sechsjähriger aus der DDR weg, ist die DDR weg, als Schernikau im Land seiner Sehnsucht ankommt. Er ist Dreißig. Immer entzieht sich, wonach er greift. Er war einer der Frühreifen der deutschen Literatur. Noch nicht das Abitur in der Tasche, legt der schreibende Pennäler Schülern wie Pädagogen sein Buch "Kleinstadtnovelle" auf den Tisch. Mit dem Buch hatten die Schwulen einen der Ihren, den sie hochheben und hochleben lassen konnten. Schernikaus Aufstieg in der Szene wie der Literatur schien unaufhaltsam. So einfach war es aber nicht! Nichts wurde leichter. Wieso auch? Sind die Frühreifen je freundlich begleitet worden? Die Geschichte des Ronald Schernikau ist auch eine Geschichte des Elends der Existenz eines Schriftstellers, den die Ökonomie im Würgegriff hat. So im Westen, so nicht im Osten. Im Kontakt mit Kollegen "hinter" der Mauer, entdeckte Schernikau den subventionierten Alltag der DDR-Schriftsteller. Ein weiterer, ausreichender Grund für die Rückwärtsrolle in die DDR. In den späten Achtzigern gelang dem Genossen der SEW (Sozialistische Einheitspartei Westberlins) das Außergewöhnliche. Als erster und einziger "Westler" bekam er einen Studienplatz am Leipziger Literaturinstitut "Johannes R. Becher". Happy End? Mitnichten! Die Zensoren der Ideologie lasen das Notiz-Buch über die Studienzeit – „die tage in l“ – mit Graus und verweigerten die Veröffentlichung. Schernikau wurde abermals zum Wanderer zwischen den Welten. Das Buch erschien nämlich in Hamburg.

War "Ronald Schernikaus erste Empfindung im Westen... ein Gefühl des Verlustes" – die Trennung von der Spielgefährtin Ute – so auch die erste Erfahrung des DDR-Bürgers. Das Verbot von "die tage in l" war ein Verlust. Schernikau hat niemals für das Verlieren gelebt. Er verfocht und verteidigte seinen Willen und sein Wollen. Er war kein Verzichtender. Und musste sich verlierend, verzichtend erleben, als er, wie viele Gleichgesinnte seiner Generation, starb, weil es für AIDS-Kranke kaum eine Überlebenschance gab. Eine der berührendsten Episoden des Buches ist die, in der vom Sterben Ronald Schernikaus berichtet wird. Sie ist, wie so viele, sehr privat. Die Schernikau-Biographie von Matthias Frings ist keine politische Biographie. Sie ist eine menschliche Biographie. Und sage einer, dass eine solche Biographie ohne das Politische sein kann!

Alles ist Politik. Alles. Wer Zweifel hegt, hat nicht "legende" gelesen. Das ist Schernikaus fast tausendseitiges Hauptwerk, zu dem er sagte: "Wenn sie dieses Buch lesen, bin ich berühmt". Unmittelbar vor dem Tode abgeschlossen, wurde „legende“ 1999 verlegt. Das Politische im Leben des Schriftstellers, sein politisches Leben werden in "Der letzte Kommunist" nie proklamiert. Propaganda ist nicht Frings Sache. Ronald Schernikaus Existenz war stets sowohl persönlich, wie poetisch, wie politisch. Über das Persönliche weiß Frings mehr als viele andere: Dank der freundschaftlich-geschwisterlichen Verbundenheit mit dem Porträtierten. Frings ist kein Psychologe, Poetologe, Politologe. Ein Subjekt trifft ein Subjekt. Subjektivität macht die Stärke der Biographie aus. Die Subjektivität läßt es zu, daß der Verfasser über den Bruder im Geiste sagen kann: "Er war empfindlich wie eine Orchidee, aber meist war er schlicht ein guter Kumpel". Zugleich urteilt Frings absolut und endgültig: "Er war anspruchsvoll, schwierig, gestrig und unverkäuflich. Er war zu seinem eigenen Planet geworden".

Wie sich diesem Planeten nähern? Frings hat etwas getan, was seriöse Biographen nie tun würden. Er hat zwei weitere Biographien in die eine Biographie hineingeschrieben: Die von Ellen, der Mutter des Autors Matthias Frings. Das hat nichts Peinliches, nichts Penetrantes. Das ist nicht mal unpassend, wie sich erweist. Alles Menschliche wird so prägnanter und die Zeitgeschichte deutlicher. Die der DDR. Die West-Berlins während der achtziger Jahre. "Der letzte Kommunist" ist auch ein Westberliner Heimatbuch. Wenn das nicht auch was ist! Der Wechsel von Biographie zu Biographie machte die bewegende Bewegung des Buches erst möglich. Würden die Ellen- und Matthias-Kapitel herausgenommen, bliebe kaum ein Drittel des Textes übrig. Der Planet bliebe ein ferner Planet. Mit der Verflechtung der ohnehin miteinander verflochtenen Biographien hat Matthias Frings etwas getan, was Kunstgriff genannt wird. Und der ist kein Missgriff  gewesen. Verstärkt wird die fast nie erlahmende Bewegung des Buches durch die Dialoge, die den gesamten Rhythmus bestimmen. Die Dialoge charakterisieren die Personen. Die Dialoge differenzieren die Inhalte der Gespräche. Die Dialoge machen das Buch zu einem literarischen Buch.

"Der letzte Kommunist" ist eine Reverenz, ist die ehrende Ehrung eines Literaten, die Achtung eines Menschen. Bei Gott, keine Huldigung! Keine Heiligsprechung eines Kommunisten. Ein bisschen Verehrung halt. Spürbar angemessen, ansprechend, würdig. Die Legende lebt. Und Ellen Schernikau gibt die allerletzte Kommunistin. Gewillt, Fidel Castro weit zu überleben.

Bernd Heimberger
09.03.2009

 
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Das Buch:

Matthias Frings: Der letzte Kommunist. Das traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau

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Berlin: Aufbau Verlag 2009
488 S., € 19,95
ISBN: 978-3-351-02669-1

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