Biographie

Die Enttarnung des Todesengels

Josef Mengele steht ob seiner Rolle als Arzt im Konzentrationslager Auschwitz sinnbildlich für den Schrecken, die Unmenschlichkeit und den Zynismus Hitler-Deutschlands, das Menschen aus ganz Europa im zwanzigsten Jahrhundert durch die Hölle gehen ließ. Als junger Mediziner war Mengele nach seinem Studium und einem kurzen Fronteinsatz bei der Waffen-SS schließlich als Lagerarzt nach Auschwitz gekommen, wo er das unerschöpfliche Menschenmaterial für seine Studien und Forschungen missbrauchte. Um ankommende Züge voller Häftlinge zu sondieren, stand Mengele an der Rampe in Auschwitz und wies die Menschen mit einer einzigen Handbewegung entweder zu den Baracken oder zu den Gaskammern und damit direkt in den Tod. Nach dem Krieg gelang es Mengele, aus Auschwitz und später auch aus Deutschland zu entkommen, bis er schließlich über die sogenannte "Rattenlinie" nach Südamerika fliehen konnte und dort größtenteils unbehelligt noch drei Jahrzehnte leben durfte.

Während in Deutschland in zahlreichen Kriegsverbrecherprozessen die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurden, aber auch in Südamerika auf Männer wie Adolf Eichmann oder Klaus Barbie erfolgreich Jagd gemacht wurde, lief Mengele trotz seiner prominenten Rolle in Auschwitz weitestgehend unter dem Radar deutscher und ausländischer Behörden. Im Wissen seiner Familie, einer alteingesessenen Unternehmerdynastie im bayrischen Günzburg, und ausgestattet mit deren Geld konnte sich Josef Mengele nach Belieben in Argentinien, Paraguay und Brasilien ausleben. Insbesondere deutsche Behörden intensivierten ihre Bemühungen erst in den Siebziger Jahren, selbst die sonst so erfolgreichen israelischen Geheimdienste agierten ungewohnt zögerlich, so dass Mengele nach einem natürlichen Tod im Jahre 1979 nicht mehr für seine Taten bestraft werden konnte. Als in den Achtziger Jahren das Interesse an einer Ergreifung Mengeles wuchs, verblieb lediglich die Aufgabe nachzuweisen, dass es sich bei dem vermuteten Leichnam Mengeles tatsächlich um den Mann handelte, der als "Todesengel von Auschwitz" berüchtigt war.

Viel ist über Mengele in seiner Zeit in Auschwitz geschrieben und berichtet worden, viel ist später über seine Zeit in Südamerika zusammengedichtet worden, so dass man heute durchaus von einem Mengele-Mythos sprechen kann. So waren selbst in den Neunziger Jahren noch Berichte in seriösen Magazinen erschienen, die glaubhaft machen wollten, dass Mengele lebe. Ein Mann, der ab Mitte der Achtziger hautnah dabei mitwirken durfte, den Tod Mengeles nachzuweisen, ist David G. Marwell, Historiker und Holocaustforscher. Derzeit leitet er das "Museum of Jewish Heritage" in New York. In den Achtzigern war er beim amerikanischen Justizministerium in einer Behörde tätig, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, nationalsozialistische Kriegsverbrecher aufzuspüren und strafrechtlich zu verfolgen. Kürzlich hat Marwell eine vielbeachtete Biografie Josef Mengeles herausgebracht, die dank des Theiss Verlags nun auch in einer deutschen Übersetzung vorliegt und den schlichten Titel "Mengele" trägt.

Der Autor, der für seine Recherchen nicht nur seine eigenen Erlebnisse bei der Identifikation von Mengeles Leichnam einbringen konnte, sondern auch zahlreiche Primär- und Sekundärquellen herangezogen hat, beginnt seine Ausführungen in Günzburg, der Heimat des Industriellensohns Josef Mengele. Bei seinen Beschreibungen von Mengeles universitärer Karriere achtet er stets darauf, wann und wo der Mediziner sich zu dem Monster entwickeln sollte, das nachher als "Todesengel von Auschwitz" bezeichnet wurde. Rasch gelangt Marwell zu den Wirren des Zweiten Weltkriegs und Mengeles Weg als Lagerarzt nach Auschwitz. Den größten Teil in der vorliegenden Biografie nehmen schließlich Mengeles Flucht aus Deutschland und sein Leben im südamerikanischen Exil sowie der spätere Krimi rund um die Identifikation von Mengeles Leichnam ein.

Glücklicherweise standen Marwell tausende Seiten aus der Feder Mengeles zur Verfügung, die ihn seinen ungeheuerlichen Weg nach Kriegsende nachverfolgen ließen. Dank zahlreicher Unterstützer, der fleißigen Verwendung von Decknamen, einer gehörigen Portion Glück und des Unvermögens deutscher Behörden konnte Mengele sich der Gerechtigkeit entziehen. Marwells große Stunde schlug schließlich, als es darum ging, in einer Prä-DNA-Zeit zweifelsfrei nachzuweisen, dass ein auf einem brasilianischen Friedhof vergrabener Leichnam tatsächlich Josef Mengele zugeordnet werden konnte. Dementsprechend mutiert die vorliegende Biografie an dieser Stelle zu einem forensischen Krimi, der schließlich auch noch politische Verstrickungen zwischen den beteiligten amerikanischen, deutschen und israelischen Teams lösen musste. "Mengele" ist zweifelsohne eine ob ihrer Gründlichkeit und ihres abschließenden Charakters brillante Darstellung einer Bestie, die während ihres irdischen Daseins und darüber hinaus für unendliches Leid und ungläubiges Kopfschütteln gesorgt hat.

Christoph Mahnel 
26.04.2021

 
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Das Buch:

David G. Marwell: Mengele - Biographie eines Massenmörders. Aus dem Amerikanischen von Martin Richter

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Darmstadt: Theiss Verlag 2021 440 S., € 28,00 ISBN: 978-3-8062-4277-5

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