Glossen & Berichte

Weizsäcker, Afrika und der Schönheitswahn: Neue Sachbücher

Mit Umweltbelastungen und Umgangsformen, Schönheitswahn und kriminellen Machenschaften in der Wirtschaft beschäftigen sich die Sachbücher dieses Frühjahrs. Daneben nehmen Biografien nach wie vor einen zentralen Platz in den Verlagsprogrammen ein. Insbesondere dem Alt-Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker sind aus Anlass seines 90. Geburtstages am 15. April gleiche mehrere Bücher gewidmet.

Der renommierte Journalist und «Tagesspiegel»-Herausgeber Hermann Rudolph begleitet den Weg von Weizsäckers seit Jahrzehnten. In «Richard von Weizsäcker. Eine Biographie» vollzieht er dessen Werdegang vom jungen Soldaten, seiner Karriere in der Wirtschaft bis hin zur politischen Laufbahn nach. Das Porträt des Staatsmannes ist zugleich ein Streifzug durch neun Jahrzehnte deutscher Geschichte.

Als integrierende Persönlichkeit und Inbegriff eines glaubwürdigen Politikers sieht der Publizist Gunter Hoffmann den bald 90-jährigen früheren Bundespräsidenten. In seinem Buch «Richard von Weizsäcker. Ein deutsches Leben» sucht er die komplexe Persönlichkeit des von allen politischen Lagern akzeptierten Staatsmannes zu ergründen.

Die einzigartige Lebensleistung von Nelson Mandela hat Richard Stengel zu seinem Buch «Mandelas Weg» veranlasst. Darin schildert der US-Journalist, wie sich in der Person des 92-jährigen ehemaligen Präsidenten Südafrikas und Nobelpreisträgers Mut und innere Ruhe mit Disziplin und Leidenschaft verbinden.

Im 30. Jahr des Bestehens der Grünen ist nach Ansicht eines ihrer Gründungsmitglieder, Ludger Volmer, die Zeit für eine Bilanz gekommen. Volmer ruft ins Gedächtnis, wie aus dem Zusammenschluss kritischer «Turnschuh-Politiker» eine politische Kraft geworden ist, die nicht nur in den Parlamenten, sondern auch in Regierungen und Rathäusern vertreten ist. Seine Monografie «Die Grünen. Von der Protestbewegung zur etablierten Partei ­ eine Bilanz» beleuchtet das Phänomen von innen wie von außen ­ aus dem Blickwinkel des Sozialforschers.

Die Umwelt steht auch im Mittelpunkt des Buches «Der letzte Fisch im Netz», in dem Taras Grescoe vor einer weiteren Zerstörung der Meere warnt. Die gnadenlose Ausbeutung der Ozeane hat nach seinen Angaben dazu geführt, dass heute bis zu 80 Prozent des Speisefisches verschwunden ist. Neben Kritik gibt der Kanadier aber auch seine Überlegungen zum Besten, wie die wichtigste Nahrungsquelle der Welt gerettet werden kann.

Finanzkrise und die Auswirkungen des Kapitalismus beschäftigen weiterhin die Gemüter: Der Publizist Jürgen Roth hat die «Gangsterwirtschaft» unter die Lupe genommen und dabei eine besorgniserregende Entdeckung gemacht: Er prangert an, dass die organisierte Kriminalität «Deutschland aufkauft». Allein im vergangenen Jahr sind nach Roths Einschätzung rund 40 Milliarden kriminell erwirtschaftete Euro in die deutsche Wirtschaft eingespeist worden, während Justiz und Politik tatenlos zuschauten.

Für alle, die mitreden möchten, eignet sich das von Dietmar Pieper und Rainer Traub herausgegebene Buch «Geld macht Geschichte». Die beiden «Spiegel»-Journalisten sowie zahlreiche Experten erklären «Kriege, Krisen und die Herrschaft des Kapitals seit dem Mittelalter» und bieten einen leicht verständlichen Überblick über Geschichte und Bedeutung des Geldes.

Fundierte Kulturkritik üben zahlreiche Autoren: Die britische Psychoanalytikerin Susie Orbach, die einst Lady Di von ihrer Bulimie befreite, hat ein aufrüttelndes Buch über «Bodies» als «Schlachtfelder der Schönheit» verfasst. In einer Gesellschaft, in der «der Maßstab die von Kopf bis Fuß renovierte Frau» ist, gewinnen vor allem die Schönheits-, Pharma- und Diätindustrie, lautet eine These des Buches. Und: Mittlerweile sei Körperfetischismus bis hin zum Körperhass längst nicht mehr das Privileg von Frauen.

Einer «unzeitgemäßen Tugend» widmen der Psychoanalytiker Adam Phillips und die Historikerin Barbara Taylor ihr Buch mit dem Titel «Freundlichkeit». Mit Logik und Anschaulichkeit werben die beiden für Rücksicht und Höflichkeit besonders in der heutigen von Konkurrenz und Egoismus geprägten Welt.

Ein grundlegendes und unterhaltsames Buch über Lärm hat die Berliner Journalistin Sieglinde Geisel geschrieben: «Nur im Weltall ist es richtig still» gibt einen Überblick über menschliches Geräuschempfinden in den vergangenen 2000 Jahren und geht zugleich dem Phänomen nach, dass die Welt immer lauter wird, «weil immer mehr in ihren Autos aus den Städten in die Stille fliehen».

Mit dem provokanten Szenario vom Menschen als Diener der Maschinen rüttelt Karl Olsbergs Analyse «Schöpfung außer Kontrolle. Wie Technik uns benutzt» auf. «Wir brauchen Maschinen. Aber wie lange brauchen die Maschinen uns noch?», fragt der Experte für künstliche Intelligenz und Autor des Technik-Thrillers «Das System».

Im Jahr der Fußball-WM in Südafrika rückt auch der Kontinent in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit ­ und des Bestsellerautors Prinz Asfa-Wossen Asserate. Dessen neues Buch «Afrika» gibt kurzweilig Auskunft über alles Wissenswerte: Asserate schreibt, warum wir alle Afrikaner sind, wie die Rolle der Frauen von der Politik afrikanischer Staaten gesehen wird, oder was es mit Kindersoldaten, Voodoo und der angeblichen Primitivität der afrikanischen Kunst auf sich hat.

Die lesenswerte Biografie zweier Schwestern, denen es dank ihrer Leidenschaft für die Oper gelungen ist, die Gestapo zu überlisten und 29 Menschen das Leben zu retten, hat Louise Carpenter geschrieben: «Ida & Louise». Die Schwestern hatten es sich nach einem eintönigen Leben als Stenotypistinnen und dem unverhofften Erfolg eines Romans von Ida zur Lebensaufgabe gemacht, Juden aus Deutschland zu holen ­ und dies unter den abenteuerlichsten Bedingungen.

Das Buch «Mütter und Andere» von Sarah Blaffer Hrdy kann als aktuelles Standardwerk über Mutterschaft und emotionale Evolution gelten. Die amerikanische Anthropologin führt darin aus, wie sich die Fähigkeit zur Fürsorge vor über einer Million Jahren entwickelte. Anders als die klassische Anthropologie hatte nach Auffassung der Autorin soziales Verhalten nicht seinen Ursprung in der Verteidigung gegenüber Feinden, sondern in der gemeinschaftlichen Kindererziehung.

Noch kurzweiliger erzählt der Neurowissenschaftler Tobias Niemann in «Kamasutra kopfüber» von den «77 originellsten Formen der Fortpflanzung». Demnach schluckt das Bonellia-Weibchen das tausendmal kleinere Männchen zur Befruchtung der Eier einfach herunter, während das Nordoppossum die Freude am Liebesakt gleich doppelt genießenkann: Das Weibchen verfügt über zwei Geschlechtsorgane und ihr Gatte über einen zweizipfeligen Penis. In dem amüsanten Streifzug durch die Fauna erfährt der Leser auch, dass Emanzipation den Seepferdchen zu lebenslangem Eheglück verhilft: Bei ihnen wird der Papa schwanger und brütet, während seine Gattin jeden Morgen vorbei schaut und ihn zu einem Tänzchen auffordert.

Asfa-Wossen Asserate: Afrika. Die 101 wichtigsten Fragen und Antworten
Beck Verlag, München
160 Seiten, 14,95 Euro
ISBN 978-3-4066-0096-8

Sarah Blaffer Hrdy: Mütter und Andere. Wie die Evolution uns zu sozialen Wesen gemacht hat
Berlin Verlag, Berlin
480 Seiten, 28,00 Euro
ISBN 978-3-8270-0885-5

Louise Carpenter: Ida & Louise. Wie zwei Schwestern die Gestapo überlisteten
Dörlemann Verlag, Zürich
180 Seiten, 16,90 Euro
ISBN 978-3-9087-7754-0

Taras Grescoe: Der letzte Fisch im Netz. Wie wir die wichtigste Nahrungsquelle der Welt retten können ­ die Meere
Blessing Verlag, München
420 Seiten, 17,95 Euro
ISBN 978-3-8966-7345-9

Sieglinde Geisel: Nur im Weltraum ist es wirklich still. Vom Lärm und der Sehnsucht nach Stille
Galiani Verlag, Berlin
192 Seiten, 16,95 Euro
ISBN 978-3-8697-1015-0

Gunter Hofmann: Richard von Weizsäcker. Ein deutsches Leben
Beck Verlag, München
288 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-4065-9809-8

Tobias Niemann: Kamasutra kopfüber. Die 77 originellsten Formen der Fortpflanzung
Beck Verlag, München
192 Seiten, 17,95 Euro
ISBN 978-3-4065-9877-7

Karl Olsberg: Schöpfung außer Kontrolle. Wie Technik uns benutzt
Aufbau Verlag, Berlin
300 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-3510-2714-8

Susie Orbach: Bodies. Schlachtfeld der Schönheit
Arche Verlag, Hamburg
200 Seiten, 17,90 Euro
ISBN 978-3-7160-2631-1

Adam Phillips/Barbara Taylor: Freundlichkeit. Diskrete Anmerkungen zu einer unzeitgemäßen Tugend
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart
160 Seiten, 16,90 Euro
ISBN 978-3-6089-4609-3

Dietmar Pieper/Rainer Traub (Hg.): Geld macht Geschäfte. Kriege, Krisen und die Herrschaft des Kapitals seit dem Mittelalter
Deutsche Verlags-Anstalt, München
300 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-4210-4464-8

Jürgen Roth: Gangsterwirtschaft. Wie die organisierte Kriminalität Deutschland aufkauft
Eichborn Verlag, Frankfurt
256 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-8218-5680-3

Hermann Rudolph: Richard von Weizsäcker. Eine Biografie
Rowohlt Verlag, Reinbek
288 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-8713-4667-5

Richard Stengel: Mandelas Weg. Liebe, Mut, Verantwortung. Die Weisheit eines Lebens
Bertelsmann Verlag, München
320 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-5701-0048-6

Ludger Volmer: Die Grünen. Von der Protestbewegung zur etablierten Partei ­ eine Bilanz
Bertelsmann Verlag, München
400 Seiten, 22,95 Euro
ISBN 978-3-5701-0040-0

Susanna Gilbert-Sättele, dpa
12.04.2010

 
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