Glossen & Berichte

Romane im Herbst: Bekannte und neue Stimmen im Chor der Literaten

Hamburg (dpa) - In diesem Herbst melden sich ebenso viele bekannte wie auch neue Stimmen im Chor deutschsprachiger Autoren zu Wort. So unterschiedlich wie die Schriftsteller selbst sind auch ihre Themen: Von Generationskonflikten über Liebesgeschichten bis hin zum Leben im Alter reicht die Bandbreite ihrer Geschichten. Auch der internationale Buchmarkt bietet in der zweiten Jahreshälfte eine Menge neue Namen und neue Themen.

Altmeister Siegfried Lenz legt nach seinem großen Erfolg «Schweigeminute» gleich ein neues Werk nach: In «Landesbühne» erzählt er mit feinem Humor, wie eine Gruppe sympathischer Strafgefangener den Bus eines Theaters entführt und in die Rolle von Schauspielern schlüpft. Ganz anders versucht die Erfolgsautorin Charlotte Link ihre Leser mit ihrem neuen Spannungsroman «Das andere Kind» zu fesseln: Vor der Kulisse Nordenglands entwirft sie eine Familientragödie, deren Wurzeln in die Zeit des Zweiten Weltkrieges hinein reichen. Der neue Roman des 83-jährigen Dieter Wellershoff - «Der Himmel ist kein Ort» - beginnt wie ein Krimi und entwickelt sich zu einem Gesellschaftsdrama. Im Mittelpunkt steht ein junger Dorfpfarrer, dessen bisherige Überzeugungen von einer sinnstiftenden Ordnung im Dies- und im Jenseits ins Wanken geraten.

Die Fans der orientalisch bunten Fantasiewelt eines Feridun Zaimoglu können sich auf ein neues Werk des in Anatolien geborenen Autors freuen: Auf «Liebesbrand» folgt in diesem Herbst «Hinterland», ein Zusammenspiel von Geschichten unterschiedlichster Menschen, die sich durch Europa bis an die Grenze der modernen Zivilisation bewegen. In seinem neuen Roman «Herr Adamson» lässt der große Schweizer Erzähler Urs Widmer («Der Geliebte der Mutter») im Jahre2032 einen Greis sein Leben Revue passieren. Die Geschichte vom Ende des Lebens wird mit der für Widmer typischen herzerwärmenden Heiterkeit dargebracht. Ulla Hahn führt ihre Leser auch im neuen Buch «Aufbruch» in ihre rheinländische Heimat, in der ein junges Mädchen den Sprung aus engen Verhältnissen in ein neues Leben schafft. In Anknüpfung an den Bestseller «Das verborgene Wort» entwirft Hahn hier ein detailgetreues Sittengemälde der 1960er Jahre der Bundesrepublik.

Nach längerer Pause meldet sich «Rauken»-Autorin Claire Beyer mit einem Roman zurück. «Rohlinge» handelt von einem lettischen Jungen und dessen Resignation in der Fremde. Mit ihrem eigenwilligen melancholischen Unterton schreibt Beyer von einer Gesellschaft, die von Sprachlosigkeit geprägt ist, und von einem Leben voller zerbrechlich schöner Momente. Eigenwilligkeit ist auch ein Markenzeichen von Brigitte Kronauer, die in «Zwei schwarze Jäger» die alltäglichen Lebensläufe mehrerer Figuren kunstvoll verstrickt, bis eine von ihnen einen Mord begeht. Ein wenig bizarr geht es gern in Helmut Kraussers Geschichten zu, so auch in seinem Roman «Einsamkeit und Sex und Mitleid», in dem er die Schicksale von unterschiedlichsten Menschen in Berlin zusammen führt. An der Mischung aus Melodramatik, Ironie und Fabulierkunst finden geübte Leser ihr Vergnügen.

Ironie ist die Stärke des in Köln geborenen Schriftstellers Hanns- Josef Ortheil, dessen neues Werk «Die Erfindung des Lebens» stark autobiografische Züge trägt: Neben der angesichts des Verlustes von vier Kindern verstummten Mutter wächst ein Junge als einziger überlebender Sohn auf. Der Umklammerung durch die Familie versucht er zunächst als Pianist in Rom, später als Schriftsteller zu entkommen. Autor Markus Orths legt mit «Hirngespinste» eine selbstironische Farce auf, in dem er gnadenlos entlarvt, wie der Literaturbetrieb Autoren zu Größenwahn und Anerkennungssucht verleitet. ImMittelpunkt: der aus dem Bestseller «Klassenzimmer» allseits bekannte Lehrer Kranich beim verzweifelten Versuch, ein zweites Buch zu schreiben.

Spannend dürfte es werden zu lesen, was noch eher unbekannte deutsche Autoren zu erzählen haben: So berichtet David Wagner, dessen literarischen Splittern «Spricht das Kind» viel Beachtung geschenkt wurde, in dem «Supermarktroman» «Vier Äpfel» von der traurigen Schönheit alltäglicher Dinge. Dabei geht es erneut weniger um eine ausgefeilte Handlung als um genaueste Beobachtungen. Thomas von Steinaeckers «Schutzgebiet» liegt in der abgeschiedenen Festung in einer deutschen Kolonie in Afrika. Hier kommt im Jahre 1913 eine bunte Schar glückssuchender Auswanderer zusammen. Der Roman handelt von dem Aufeinanderprallen von Altem und Neuem, von dem unheilvollen Drang, der Welt einen Stempel aufzudrücken.

Peter Henning hat mit «Die Ängstlichen» die Chronik einer musterhaften Familie geschrieben, deren Schreck- und Glücksmomente er mit rabenschwarzem Humor beschreibt. Der frühere Werbetexter Axel Simon hat in «Tatütata für Peter Sputnik» einen übergewichtigen Superhelden aus der Taufe gehoben, der die Welt unverhofft rettet und dabei auch noch die Frau fürs Leben kennenlernt. Mit leichter Feder nimmt sich Dorothea Razumovsky eines eher schweren Themas an: In ihrem Romandebüt «Letzte Liebe» begleitet die Sachbuchautorin und Journalistin eine lebenshungrige Seniorin ins Altenheim, wo die mit Laptop, Hund, Witz und Wagemut ausgestattete alte Dame ganz überraschende Erfahrungen macht.

Vor allem aus dem englischsprachigen Ausland gibt es in diesem Herbst jede Menge Neues zu lesen. Der Ire Colum MacCann, dessen Nurejew-Roman «Der Tänzer» ein Welterfolg wurde, hat in «Die große Welt» ein sprach- und bildgewaltiges Gesellschaftspanorama vom New York der 1970er Jahre geschaffen. Dagegen geht Bestsellerautor Richard Powers mit seinem neuen Werk «Das größere Glück» der Frage nach, was unser Leben bestimmt. Mit dieser zärtlichen Liebesgeschichte wird er seine Fans wie schon mit dem «Klang der Zeit» bannen. Der Brite Tim Parks erzählt in «Träume von Flüssen und Meeren» erneut eine doppelbödige und aktuelle Geschichte, in der sich alles um die Annäherung eines Mannes an seinen toten Vater dreht. Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk entführt seine Leser in «Das stille Haus», in dem drei Geschwister eine Ferienwoche verbringen. In diesem frühen Roman konzentriert sich der Istanbuler auf eine verlorene Jugend, die einen Platz in der Welt sucht und nicht findet.

Den Sound seiner Generation hat Paolo Giordano in seinem Debüt «Die Einsamkeit der Primzahlen» eingefangen. Der mit Italiens bekanntestem Literaturpreis, dem Premio Strega, dekorierte Roman erzählt von einer unvollendeten Liebe und den lebenslangen Folgen der Verletzungen in der Kindheit. Carolina De Robertis «Die unsichtbaren Stimmen» wird vom Verlag in die Reihe großer Frauenromane neben Isabel Allendes «Geisterhaus» eingereiht. Die aus Uruguay stammende Autorin beschreibt das Leben dreier Frauen und hundert Jahre südamerikanischer Geschichte. 

Aravind Adiga, der mit seinem «Weißen Tiger» nicht nur den Booker Prize 2008, sondern auch die Herzen der Leser in aller Welt erobert hat, legt nun mit «Zwischen den Attentaten» Geschichten vor, die von den unbarmherzigen Gegensätzen und dem unbeugsamen Überlebenswillen im heutigen Indien zeugen. Wie die Ereignisse einer einzigen Nacht eine Familie zerstören können, erzählt der Ire Sebastian Barry in «Ein verborgenes Leben». Die uralte Roseanne erinnert sich darin an die 1920er Jahre während des Bürgerkriegs, an ihr Leben, an Verrat und Schuld.

Aravind Adiga: Zwischen den Attentaten
Beck Verlag, München
384 S., Euro 19,90
ISBN 978-3-4065-9270-6

Sebastian Barry: Ein verborgenes Leben
Steidl Verlag, Göttingen
392 S., Euro 19,90
ISBN 978-3-8652-1967-1

Claire Beyer: Rohlinge
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt
150 S., Euro 17,90
ISBN 978-3-6270-0163-6

Colum McCann: Die große Welt
Rowohlt Verlag, Reinbek
544 S., Euro 19,90
ISBN 978-3-4980-4511-1

Paolo Giordano: Die Einsamkeit der Primzahlen
Blessing Verlag, München
363 S., Euro 19,95
ISBN 978-3-8966-7397-8

Ulla Hahn: Aufbruch
Deutsche-Verlagsanstalt, München
600 S., Euro 24,95
ISBN 978-3-4210-4263-7

Peter Henning: Die Ängstlichen
Aufbau Verlag, Berlin
500 S., Euro 22,95
ISBN 978-3-3510-3267-8

Helmut Krausser: Einsamkeit und Sex und Mitleid
Verlag Dumont, Köln
240 S., Euro 19,95
ISBN 978-3-8321-8092-8

Brigitte Kronauer: Zwei schwarze Jäger
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart
290 S., Euro 21,90
ISBN 978-3-6089-3885-2

Siegfried Lenz: Landesbühne
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg
224 S., Euro 19,99
ISBN 978-3-4550-4282-5

Charlotte Link: Das andere Kind
Blanvalet Verlag, München
ISBN 978-3-7645-0279-9

Hanns-Josef Ortheil: Die Erfindung des Lebens
Luchterhand Verlag, München
500 S., Euro 22,60
ISBN 978-3-6308-7296-4

Markus Orths: Hirngespinste
Schöffling Verlag, Frankfurt
160 S., Euro 17,90
ISBN 978-3-8956-1470-5

Orhan Pamuk: Das stille Haus
Hanser Verlag, München
384 S., Euro 24,90
ISBN 978-3-4462-3400-0

Tim Parks: Träume von Flüssen und Meeren
Kunstmann Verlag, München
512 S., Euro 24,90
ISBN 978-3-8889-7579-0

Richard Powers: Das größere Glück
Fischer Verlag, Frankfurt
544 S., Euro 22,95
ISBN 978-3-1005-9024-4

Dorothea Razumovsky: Letzte Liebe
Weissbooks Verlag, Frankfurt
145 S., Euro 16,80
ISBN 978-3-9408-8844-0

Carolina De Robertis: Die unsichtbaren Stimmen
Krüger Verlag, Frankfurt
460 S., Euro 16,95
ISBN 978-3-8105-0799-0

Axel Simon: Tatütata für Peter Sputnik
Verlag Rowohlt Berlin
288 S., Euro 16,90
ISBN 978-3-8713-4637-8

Thomas von Steinaecker: Schutzgebiet
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt
380 S., Euro 19,90
ISBN 978-3-6270-0160-5

David Wagner: Vier Äpfel
Rowohlt Verlag, Reinbek
160 S., Euro 17,90
ISBN 978-3-4980-7368-8

Dieter Wellershof: Der Himmel ist kein Ort
Verlag Kiepenheuer &  Witsch, Köln
304 S., Euro 19,95
ISBN 978-3-4620-4134-7

Urs Widmer: Herr Adamson
Diogenes Verlag, Zürich
192 S., Euro 19,90
ISBN 978-3-2570-6718-7

Feridun Zaimoglu: Hinterland
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
448 S., Euro 19,95
ISBN 978-3-4620-4133-0

 
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