Glossen & Berichte

Türkisch-deutsche Literatur: Aus der Gastarbeiternische in die breite Öffentlichkeit

LitMa - Die türkische-deutsche Literatur hat sich in den letzten 30 Jahren aus einer Nebenwelt heraus klar als Teil des deutschen Literaturbetriebesetabliert. Stand für den Großteil der Autoren der ersten Stunde zunächst die Migrationssituation im Vordergrund, so besticht die türkisch-deutsche Literatur inzwischen durch eine große inhaltliche und stilistische Bandbreite. Über alle literarischen Genres hinweg bietet sie den Lesern einen unverwechselbaren Blick auf eine Vielfalt von Themenfeldern.

Ihren Ursprung hat die türkisch-deutsche Literatur in der Migrationsbewegungab Mitte der 1960er Jahre. Schreibanlass war meist die Einwanderersituation und so spiegelten die Werke, größtenteils Gedichte oder kurze Prosa, zunächst vor allem Hoffnung auf Wohlstand, Sehnsucht und Erinnerungen an die Heimat, aber auch Probleme der Integration und Fremdheit wider.

Daneben gab es aber auch Autoren, die sich bereits zu dieser Zeit vom oftmals klischeehaften der typischen Migrationsliteratur eindeutig abheben. Diese intellektuellen Türken wie beispielsweise der Schauspieler, Autor und Journalist Aras Ören und der Schriftsteller,
Übersetzer und Fotograf Kemal Kurt verließen die Türkei teilweise aufgrund der politischen Situation – teilweise auch aus künstlerischem Interesse. Während die Migrationsliteratur in ihrem Ursprung eher einen sozialdokumentarischen Charakter hatte, thematisierten diese türkisch-deutschen Autoren das Feld Migration in einer hohen literarischen Qualität und füllten es durch ihre Geschichten mit Leben.

In den 1980er Jahren trat in der türkisch-deutschen Literatur die Migrationssituation in den Hintergrund. Die Arbeiten, vornehmlich der jüngeren Autorengeneration, sind geprägt von einer türkisch-deutschen Sichtweise. Der Betrachtungswinkel hat sich gewandelt: Von Fremde zu Heimat – eine Heimat, beschrieben aus türkischer Perspektive, geschrieben auf Türkisch oder Deutsch. Bikulturalität wird nicht thematisiert, sondern wird zum selbstverständlichen Hintergrund. Dabei besticht die junge türkisch-deutsche Literatur durch eine enorme Bandbreite von Stimmen, die eine Kategorisierung unmöglich macht.

Auch die Genrebegrenzung der ursprünglichen Migrationsliteratur wurde durch die junge Autorengeneration endgültig gesprengt. Türkisch-deutsche Autoren sind seitdem in so verschiedenen Bereichen wie Hochliteratur, Theaterliteratur (Feridun Zaimoğlu), Kriminalroman (Akif Pirinçci), Film- und Fernsehdrehbuch (Fatih Akın, Bora Dagtekin), Satire (Osman Engin, Şinasi Dikmen) und Kinder- und Jugendbuch (KemalKurt) erfolgreich.

Klarer Indikator für diesen Erfolg sind allein schon die zahlreich vertretenen türkischen Namen auf deutschen Bestsellerlisten – wie zum Beispiel Akif Pirinçci mit seinen originellen Kriminalromanen. Außerdem tauchen türkische Namen auch unter den Gewinnern der
angesehensten Literaturpreise auf. So gewann Zehra Çirak den Hölderlin Preis für Lyrik 1994 und Emine Sevgi Özdamar erhielt 1991 den Ingeborg Bachmann Preis und 2004 den Kleist-Preis.

Die moderne türkisch-deutsche Literatur hat sich bewiesen, ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen und kann inzwischen als wesentlicher Teil des deutschen Literaturbetriebes angesehen werden. Einen Einblick in ihren literarischen Reichtum bietet die Frankfurter Buchmesse 2008. In Zusammenhang mit dem Ehrengast-Auftritt der Türkei werden zahlreiche Lesungen, Informations- und Diskussionsveranstaltungenangeboten.

 
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