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Neue Belletristik im Herbst: Deutsche Romanciers haben das Wort

Hamburg (dpa) - Der deutsche Roman ist gefragt wie schon lange nicht mehr. In den Verlagsprogrammen des Herbstes wird den deutschsprachigen Romanciers auffallend viel Raum gegeben. Ob Uwe Timm, Günter Grass, Daniel Kehlmann oder Ingo Schulze - sie alle - und noch viel mehr - haben viel zu erzählen. Dass sie mit einem aufmerksamen Publikum rechnen können, ist nach ihren Erfolgen in den vergangenen Jahren so gut wie sicher.

Aufmerksamkeit verdient auch der neue Roman des frisch gekürten Ingeborg-Bachmann-Preisträgers Tilmann Rammstedt: «Der Kaiser von China», eine rasant-komische Geschichte von den Fantastereien eines jungen Mannes, verspricht Lesevergnügen auf hohem Niveau. Während der 33-Jährige ein großes Publikum noch erobern muss, gehört Uwe Timm längst zu den meistbeachteten deutschen Autoren der Gegenwart. Sein neues, ebenso klug wie bewegendes Werk «Halbschatten» setzt sich mit Leben und Tod der deutschen Fliegerin Marga von Etzdorf auseinander, die sich 1933 im Alter von 25 Jahren auf einem syrischen Flughafen das Leben genommen hat. Nobelpreisträger Günter Grass führt mit dem Buch «Die Box» seine autobiografischen Erzählungen fort, nachdem seine Jugenderinnerungen «Beim Häuten der Zwiebel» vor zwei Jahren für internationalen Wirbel gesorgt haben. Zugleich widmet sich das neueste vielschichtige und mit Zeichnungen dekorierte Werk der langjährigen Freundin und Fotografin Maria Rama, die 1977 gestorben ist.

Von Daniel Kehlmann erscheint ein Roman in neun Geschichten, der den Titel «Ruhm» trägt und sich an dem sensationell erfolgreichen Werk «Die Vermessung der Welt» messen lassen muss. Ruhm und Vergehen, Wahrheit und Täuschung sind die Klammern, die alle Episoden zusammen halten und erst allmählich ein geschlossenes Gesamtbild entstehen lassen. Mit Spannung wird auch das neue Buch des studierten Theologen Arnold Stadler erwartet: «Salvatore» handelt von einem Mann, der nach der Ansicht des Pier Paolo Pasolini-Films «Das 1. Evangelium - Matthäus» verwandelt aus dem Kino kommt - beseelt von dem Wunsch nach Glauben. Mit «Der Turm» legt Uwe Tellkamp ein opulentes Familiendrama vor, das als eine Art DDR-Variante der «Buddenbrooks» den Untergang einer Ära festhält.

In einer gewohnt virtuos ausgearbeiteten Tragikkomödie «Adam und Evelyn» spielt Ingo Schulze mit dem biblischen Mythos von Adam und Eva: Deren Nachfolgerpaar Adam und Evelyn verpflanzt er in den Spätsommer 1989 nach Ungarn, als sich der Eiserne Vorhang zu heben begann und die Menschen sich zwischen dem Alten und dem vermeintlichen Paradies des Westens zu entscheiden hatten. Nach dem Beginn («Herr Lehmann») und Abschluss («Neue Vahr Süd») der schelmischen Lehmann-Trilogie legt Sven Regener nun den mittleren Teil - «Der kleine Bruder» - vor: Im November 1980 reist Frank Lehmann zu seinem Bruder nach Berlin, der dort - so meint der Held - ein berühmter Künstler ist.

Michael Köhlmeier, der im vergangenen Jahr mit «Abendland» viel Erfolg hatte, stellt sich nun mit einer «Idylle mit ertrinkendem Hund» dem Votum des Publikums. Der im Vorarlberg lebende Autor erzählt hier in einer kleinen, großen Geschichte von den verzweifelten Versuchen eines Mannes, seinen Hund aus dem Wasser zu retten. Nach der Lektüre von Markus Orths neuem Roman «Das Zimmermädchen» wird man nachts im Hotel stets unters Bett schauen, denn die Hauptfigur der Geschichte - das Zimmermädchen Lynn - belauscht aus dieser Position die Gäste, um mehr von dem zu erfahren, was ihr so schwerfällt - leben.

Herzstück von Karl-Heinz Otts neuem Roman «Ob wir wollen oder nicht» ist der mitreißende innere Monolog eines Mannes, der unter Verdacht einer Bluttat in Haft sitzt. Der Freiburger gilt seit seinem Werk «Endlich Stille» als einer, der die Abgründe der menschlichen Seele genau auszuloten versteht. Hans Pleschinski, der schon im Roman «Leichtes Licht» die Lebensgefühle zwischen Sehnsucht und Überdruss einzufangen vermochte, hat im neuen Buch «Ludwigshöhe» ein leicht skurriles Szenario entworfen: Drei Geschwister erben Villa und Geld mit der Auflage, ihr Haus für Lebensmüde zu öffnen. Die Geschichte von der Zusammenkunft der Todgeweihten gerät dem Münchner zu einer Ode an das Leben. Der Leipziger Arzt und Autor Jakob Hein präsentiert nach seinem Bestseller «Herr Jensen steigt aus» mit «Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht» einen weiteren Roman, der die alte Geschichte von der Suche nach dem Glück mit aberwitziger Komik neu erzählt.

Ein neuer Roman - «Das Museum der Unschuld» - erfreut die zahlreichen Fans des Nobelpreisträgers Orhan Pamuk: Seine große Geschichte von der Liebe eines Mannes aus der Oberschicht zu einer armen Verwandten siedelt der Istanbuler in den 70er Jahren an, wobei er den Widerspruch zwischen westlich-freizügigen Anschauungen und traditionellem Beharren mit der ihm eigenen subtilen Ironie sichtbar werden lässt. Zu den herausragenden ausländischen Romanen des Herbstes zählt auch Stewart ONans literarischer Thriller «Alle, alle lieben dich», der nach dem Verschwinden einer jungen Frau eine Kleinstadt im Ausnahmezustand schildert. Auch die Millionen Fans des Brasilianers Paulo Coelho freuen sich auf eine Neuveröffentlichung ihres Autors: «Brida», eine in Brasilien bereits 1990 erschienene Geschichte von Eros und Esoterik. Coelho hat aller Kritik zum Trotz - die «Süddeutsche Zeitung» bezeichnete ihn einmal als «brasilianischen Eso-Schlumpf» und «Verkünder internationaler Binsenweisheiten» - weltweit rund 100 Millionen Bücher verkauft.

Aus den USA meldet sich der Meister des Politthrillers zurück: In John Grishams neuem Werk «Berufung» geht es wieder um den Kampf eines Einzelnen um Recht und Gerechtigkeit: Eine Frau wehrt sich gegen die lebensgefährlichen Machenschaften eines gewaltigen Chemiekonzerns. Spannung verspricht auch das neueste Psychodrama von Niccolo Ammaniti mit dem Titel «Wie es Gott gefällt», für das der Italiener in seiner Heimat bereits ausgezeichnet wurde. Um ihrem Elend ein Ende zu setzen, begehen drei Männer ein Verbrechen - mit verhängnisvollen Folgen. Als einer der besten spanischen Romane der vergangenen Jahre feiert die iberische Kritik Rafael Chirbes Familiendrama «Krematorium», die packende Parabel von einer geldgierigen Gesellschaft.

Niccolo Ammaniti
Wie es Gott gefällt
Fischer Verlag, Frankfurt
496 S., Euro 21,90
ISBN 978-3- 1000-0826-8

Rafael Chirbes
Krematorium
Kunstmann Verlag, München
400 S., Euro 22,00
ISBN 978-3-8889-7521-9

Paulo Coelho
Brida
Diogenes Verlag, Zürich
240 S., Euro 19,90
ISBN 978-3-2570-6666-1

Günter Grass
Die Box
Steidl Verlag, Göttingen
216 S. m. Abb., Euro 18,00
ISBN 978-3-8652-1771-4

John Grisham
Berufung
Heyne Verlag, München
464 S., Euro 19,95
ISBN 978-3-4530-662-1

Jakob Hein
Vor mir den Tag, und hinter mir die Nacht
Piper Verlag, München
176 S., Euro 16,90
ISBN 978-3-4920-5207-8

Daniel Kehlmann
Ruhm
Rowohlt Verlag, Reinbek
224 S., Euro 18,90
ISBN 978-3-4980-3543-3

Michael Köhlmeier
Idylle mit ertrinkendem Hund
Deuticke Verlag, Wien
112 S., Euro 12,90
ISBN 978-3-5520-6076-0

Orhan Pamuk
Das Museum der Unschuld
Hanser Verlag, München
500 S., Euro 24,90
ISBN 978-3-4462-3061-3

Stewart O'Nan
Alle, alle lieben dich
Rowohlt Verlag, Reinbek
416 S., Euro 19,90
ISBN 978-3-4980-5038-2

Markus Orths
Das Zimmermädchen
Schöffling Verlag , Frankfurt
144 S., Euro 16,90
ISBN 978-3-8956-1099-8

Tilmann Rammstedt
Der Kaiser von China
Dumont Verlag, Köln
160 S., Euro 17,90
ISBN 978-38321-8074-4

Sven Regener
Der kleine Bruder
Eichborn Verlag, Berlin
304 S., Euro  19,95
ISBN 978-3-8218-0744-7

Ingo Schulz
Adam und Evelyn
Berlin Verlag, Berlin
208 S., Euro 18,00
ISBN 978-3-8270-0810-7

Arnold Stadler
Salvatore
Fischer Verlag, Frankfurt
180 S., Euro 17,90
ISBN 978-3-1007-5124-9

Uwe Tellkamp
Der Turm
Suhrkamp Verlag, Frankfurt
1000 S., Euro 24,80
ISBN 978-3-5184-2020-1

Uwe Timm
Halbschatten
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
272 S., Euro 18,95
ISBN 978-3-4620-4043-2

 
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