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Fantasy-Literatur läuft der Science-Fiction den Rang ab

Die Fantasy-Literatur erlebt derzeit einen beispiellosen Boom. Sein Auslöser lässt sich genau bestimmen: Die Verfilmungen von «Harry Potter» und noch mehr von «Der Herr der Ringe», die 2001 fast zeitgleich in die Kinos kamen. Seither haben es keine anderen Filme in Deutschland geschafft, so viele Zuschauer anzulocken wie diese beiden. Doch auch in den einschlägigen Buchverlagen ist der Jubel groß: Fantasy-Autoren, die zuvor gerade einmal eine fünfstellige Auflagenzahl erreichten, übertreffen seither nicht selten die Halbmillionengrenze.

«Die Utopie war gestern», sagt Jürgen Pirner, der Chefredakteur der Fantasy-Zeitschrift «Nautilus», «Zwerge, Zauberer, Elfen und Kobolde sind heute mehr in den Köpfen als der Aufbruch ins Weltall.» Damit erklärt Pirner die Tatsache, dass Fantasy seit einigen Jahren ihrem Halbbruder Science Fiction den Rang abläuft. «Die Science Fiction ist in unserer modernen Welt Realität geworden», sagt Pirner, «die Menschen fühlen sich von der Technologie überstrapaziert, sie wenden sich vermehrt dem Fantastischen zu und suchen nach einfachen, archaischen Mythen.»   Deshalb wird der Fantasy-Literatur auch immer wieder vorgeworfen, sie lade zur Weltflucht an. «Während Science Fiction von der bestehenden Welt ausgehend ein Zukunftsbild entwirft, erfinden Fantasy-Romane die Welt komplett neu. In ihnen finden sich allenfalls Spuren der Realität - von Geld ist zum Beispiel nicht die Rede», bringt Sascha Mamczak, der beim Münchner Heyne-Verlag beide Genres betreut, den Unterschied auf den Punkt.

Mamczak sieht allerdings auch Science-Fiction nach einem Tief um die Jahrtausendwende wieder im Aufwind. Tatsächlich ist es so, dass Klassiker wie die «Star-Trek»-Reihe nicht mehr besonders nachgefragt werden. Autoren aber wie Frank Schätzing («Der Schwarm») schaffen hingegen auch heute den Sprung an die Spitze der Bestsellerlisten.

«Science-Fiction beschäftigt sich mit Themen wie dem Klimawandel und Weltraumreisen, die sonst von der Literatur nicht behandelt werden», sagt Mamczak. Dieses Genre spricht aus seiner Sicht vor allem Leser an, die an Naturwissenschaften und an der Gegenwart interessiert sind, die aber kein Sachbuch, sondern eine emotionale Geschichte lesen wollen.

Aber auch für die Fantasy-Literatur gilt, dass sie sich weiterentwickelt. Natürlich ist der Trend zu eher weichen Stoffen, die gleichermaßen für Erwachsene und Jugendliche geschrieben sind, nach wie vor bestimmend. Neben den Kultautoren dieser sogenannten «all-age»-Bücher, Joanne K. Rowling und Cornelia Funke, ist hier auch Stepheni Meyer mit ihrem Vampir-Roman «Biss zum Morgengrauen» zu nennen.

Ausgelöst durch die Bücher von Anne Rice und im Jahr 2005 durch den russischen Autor Sergej Lukianenko («Der Wächter der Nacht») kommt seit einiger Zeit eine wahre «Vampir-Schwemme» auf die Leser zu. Doch gerade bei diesen Dracula-Nachfolgern zeigt sich auch eine neue, düstere Spielart der Fantasy-Literatur - so auch in Wolfgang Holbeins neuem Roman «Unheil».

Als «Dark-Fantasy» bezeichnet diese Richtung Carsten Polzin, Lektor beim Piper Verlag, der wie der Heyne Verlag sehr viele Fantasy-Bücher im Programm hat. Auch Joe Abercrombie («Feuerklingen») ist ein Vertreter dieser Richtung, in der das Schwarze, das Gewaltsame und mitunter der Horror das Szenario bestimmt.

Als wichtigste Strömung des Genres sieht Stephan Askani, Lektor beim Stuttgarter «Herr-der-Ringe»-Verlag Klett-Cotta, dagegen immer noch «die groß angelegte epische Fantasy.» Als Hauptvertreter ist hier der amerikanische Autor Tad Williams zu nennen. In seiner «Otherland»-Tetralogie und aktuell in der «Shadowmarch»-Trilogie entwirft er wie kein anderer eine glaubwürdige imaginäre Welt, die bis ins Detail geografisch, politisch und sozial ausgearbeitet ist. 

Damit ist er auch in Deutschland zu einer eigenen Qualitätsmarke mit einer riesigen Fangemeinde geworden - auf einer Stufe mit Philip Pullman. Die Verfilmung von Pullmans Romans «Der goldene Kompass» kommt noch in diesem Jahr mit Nicole Kidman in einer Hauptrolle in die Kinos. An das Niveau dieser beiden Autoren reicht der deutsche Autor Markus Heitz zwar nicht ganz heran, dafür sind seine Romane - zuletzt «Die Mächte des Feuers» - in Deutschland noch erfolgreicher. 

Jürgen Pirner sieht überhaupt die deutschsprachigen Autoren auf dem Vormarsch: «Dass die Verlage hier zu Lande deutschsprachige Fantasy-Autoren zurzeit stark fördern, ist auch in qualitativer Hinsicht berechtigt.» Neben Cornelia Funke fungiert auch Markus Heitz als Türöffner im Ausland: Seine «Zwergen»-Romane sind in Großbritannien und noch mehr in den Niederlanden ein großer Erfolg.

Joe Abercrombie : Feuerklingen
Verlag Heyne, München
795 S., Euro 14,00
ISBN 978-3453532533

Markus Heitz : Die Mächte des Feuers
Piper Verlag, München
576 S., Euro 9,95
ISBN 978-3-492-266654-3

Wolfgang Holbein: Unheil
Piper Verlag, München
608 S., Euro 19,90
ISBN 978-3-492-70156-3

Stepheni Meyer: Biss zum Morgengrauen
Carlsen Verlag, Hamburg
558 S., Euro 19,90
ISBN 978-3-5515-8161-7

Philip Pullman : Der goldene Kompass / Das Magische Messer / Das Bernstein-Teleskop
Verlag Heyne, München
1344 S., Euro 19,95
ISBN 978-3-4534-0548-6

Tad Williams: Shadowmarch Band 1: Die Grenze
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart
814 S., Euro 26,50
ISBN 978-3-6089-3717-6

Tad Williams: Shadowmarch Band 2: Das Spiel
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart
813 S., Euro 26,50
ISBN 978-3-6089-3718-3

Elisabeth Werthern, dpa
22.01.2008

 
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