Buch des Monats - Juni 2011

Sayed Kashuas furioser Roman "Zweite Person Singular"

Der Autor Sayed Kashua sitzt in Israel zwischen allen St?hlen: Als pal?stinensischer Israeli ist er im j?disch gepr?gten Staat Israel ebenso wie in der arabischen Gemeinschaft ein Au?enseiter. Dieser Zwiespalt ist immer auch Thema seiner Romane. 

Was wissen wir eigentlich von Israel jenseits der Fernsehnachrichten und vorgefassten Meinungen? Wer erz?hlt uns etwas vom konkreten Alltag der Juden und Pal?stinenser, der Studenten und Arbeiter, der Frauen und M?tter in diesem tief gespaltenen Land? 

Der 1975 in Israel geborene Autor und Satiriker Sayed Kashua ist ein idealer Chronist des permanenten Ausnahmezustands, weil dieser Mann von Geburt an zwischen allen St?hlen sitzt. Kashua hat einen israelischen Pass, stammt aber aus einem pal?stinensischen Dorf. Er schreibt seine h?chst erfolgreichen Romane auf Hebr?isch, arbeitet als Kolumnist f?r die liberale Zeitung "Ha'aretz" und verfasst Drehb?cher f?r eine popul?re Sitcom im israelischen Fernsehen. Vor allem hat er Humor, der allerdings nach Lage der Dinge eher sarkastisch gef?rbt ist. 

Fremder im eigenen Land, lebensl?nglich. Von diesem Schicksal erz?hlen Kashuas Romane "Tanzende Araber" (2002) und "Da ward es Morgen" (2005). Jetzt legt der Erfolgsautor mit "Zweite Person Singular" eine furiose Bilanz dieses Lebens zwischen den Kulturen vor. 

Der neue Roman besteht aus zwei Handlungsstr?ngen, die sich am Ende treffen. Kashuas erste Hauptperson ist ein Rechtsanwalt, der im Text auch immer nur so genannt wird. Der pal?stinensische Israeli hat Karriere gemacht, schm?ckt sich mit Statussymbolen, bewohnt mit Frau und Kindern eine Luxuswohnung, und ist doch ein zutiefst verunsicherter Mann, der dem enormen Anpassungsdruck kaum standh?lt: Blo? nicht als Araber gelten, dies scheint das Ziel zu sein, dem er alles andere unterordnet. Bei einem Abendessen mit Freunden deutet er einmal einen Ausweg, fast eine Utopie an: W?re es so schlimm, wenn sich Pal?stinenser und Israelis nicht l?nger ?ber ihre Geschichte definieren w?rden? Menschen sind doch keine B?ume, gibt der Jurist zu bedenken. 

Der zweite Held ist Amir, ein junger Student, der gerade seinen Abschluss in der Tasche hat. Als Pfleger betreut er den gleichaltrigen Israeli Jonathan, der im Wachkoma liegt. Nach und nach schl?pft Amir f?rmlich in die Haut des anderen, der regungslos im Bett liegt. Amir h?rt Jonathans CDs, liest seine B?cher und nistet sich im Einverst?ndnis mit Jonathans Mutter immer mehr in einem fremden Leben ein, das doch nie sein eigenes sein wird. 

In einer klaren, sehr suggestiven Sprache entwickelt Kashua mit viel Detailfreude und erz?hlerischer Finesse die Psychogramme seiner Protagonisten: der Jurist entwickelt sich zum eifers?chtigen Macho, der seine liberalen Grunds?tze schnell ?ber Bord wirft, wenn es ihm in den Kram passt. Die zweite Geschichte ber?hrt mit ihrer existenziellen Wucht. Aus dem Gef?ngnis ihrer Herkunft wird keiner der beiden entfliehen k?nnen.  

Johannes von der Gathen, dpa 
06.06.2011 

 
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Das Buch:

Sayed Kashua: Zweite Person Singular. Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler

Berlin: Berlin Verlag 2011
395 S., € 22,00
ISBN: 978-3-8270-1013-1

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