Wissenschaften

25 Jahre Forschungsarbeit auf einen Blick

Weiße Sandstrände, blaues Wasser, hoch aufragende Gebirgsketten und fruchtbare Täler prägen das Landschaftsbild um die antike Stadt Patara herum. Will man wissen, wo genau sich Patara einst befunden hat und wo man heute ihre Ruinen und die archäologische Grabungsstätte finden kann, muss man sich auf der Landkarte in den Südwesten der Türkei begeben. Südwestlich von Ankara erstreckt sich der von den Griechen so bezeichnete Landstrich Lykien mit seinen schroffen Gebirgsketten, grünen Tälern und feinen Sandstränden. Die griechische wie auch die römische Herrschaft in der Antike haben auch in Lykien ihre Spuren hinterlassen, die es heute auszugraben, zu erforschen und zu bewahren gilt.

Patara, in der Antike Hauptstadt des Lykischen Bundes, danach Sitz der Provinzverwaltung der römischen Provinz Lycia, befand sich im 19. Jahrhundert unter Tonnen von Dünensand. Das ehemalige Hafenbecken ist heute eine Sumpflandschaft, da der Meeresspiegel seit der Antike gefallen ist. Als sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts die ersten Archäologen für die antike Stadt zu interessieren begannen, lagen viele Jahrzehnte, ja sogar zwei Jahrhunderte Arbeit vor den Forschern, bis die Grundlagenforschung, die Ausgrabungen und die Rekonstruktionen einen Grad erreichen würden, dass man die antike Stadt vor einer Bebauung und Zerstörung durch Tourismusinvestoren, die ihr Geschäft an einem der schönsten Strände der Türkei witterten, bewahren konnte. Seit nunmehr 25 Jahren ist ein Team aus deutschen und türkischen Wissenschaftlern mit der Erforschung der antiken Stadt, die als Tor zur römischen Welt galt, beauftragt. Der vorliegende Band fasst die Ergebnisse dieses Vierteljahrhunderts der Forschung und Ausgrabung zusammen.

Nach einer Einführung, die eine Einordnung Pataras sowohl landschaftlich als auch forschungsgeschichtlich ermöglicht, wird die Geschichte der Stadt von der Bronzezeit über den Hellenismus bis in die Zeit der römischen Herrschaft dargestellt. Für den heutigen Besucher sind gerade die Bauten aus hellenistischer und vor allem römischer Zeit diejenigen, die als erstes ins Auge fallen und auch dem archäologisch ungeübten Betrachter sofort einen Hinweis auf die Entstehungszeit geben. Auffällig sind die verschiedenen Thermen, die Aquädukte, das Theater oder auch der Ehrenbogen für einen der römischen Statthalter, Mettius Modestus. Gesondert betrachtet werden auch solche Bauten wie der Leuchtturm, die Hafenstraße, Tempel und Grabmäler.

Nicht uninteressant ist auch - wie im abschließenden Teil geschehen - der Blick auf Feste, Kulte und den zelebrierten Glauben in einer Stadt, die sich im Laufe der Jahrtausende unterschiedlichen Herrschaftsgebieten und damit auch Religionen zugehörig gefühlt hat. Was man aus heutiger Sicht und aus dem Blickwinkel des Christentums mit Patara und der näheren Umgebung verbindet, ist zumindest eines: den Geburtsort des Heiligen Nikolaus. Wem Patara nichts sagt, der wird zumindest das nahe gelegene Myra, heute Demre, als bischöfliche Wirkungsstätte dieses Heiligen im Hinterkopf haben.

"Patara - Lykiens Tor zur Welt" ist einerseits das Ergebnis von einem Vierteljahrhundert deutsch-türkischer Forschungsarbeit, fungiert aber auch als Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung, die seit November für insgesamt fünf Monate in München und Münster zu sehen ist. Ein Anliegen der beteiligten Wissenschaftler und Autoren der Beiträge dieses Bandes ist es, die Monumente und die Geschichte der antiken Stadt einem breiteren Publikum näher zu bringen. Dies gelingt bei dem interessierten Laien insbesondere durch die exzellente Ausstattung des Bandes mit Bildern, Karten und Skizzen. Die Lektüre über antike Städte und Landschaften birgt nämlich gewöhnliche das Problem der Darstellung. Heutige Karten geben nicht immer die Wirklichkeit der Antike wieder bzw. Orte und Landschaften existieren nicht mehr oder heißen anders. Dieses Problem meistern die Autoren bzw. Herausgeber dieses Bandes mit Bravour. Karten, in denen gleichzeitig die antiken Orte sowie die Städte mit ihrem heutigen Namen verzeichnet sind, sowie Fotomontagen, die z.B. den heutigen Wasserspiegel sowie den vermuteten antiken Wasserspiegel im Hafenbecken erkennen lassen, oder auch Fotos nach dem Vorher-Nachher-Prinzip, d.h. vor der Ausgrabung bzw. Rekonstruktion und Jahre später, nachdem die Ruinen nicht nur ausgegraben, sondern auch rekonstruiert worden sind, geben eine bestmögliche Orientierung im Dschungel der Forschungen. Auch die vielen Luftaufnahmen von Patara, einzelnen Teilen der Stadt wie auch großflächige Aufnahmen vom Umland machen für den Betrachter das Bild im wahrsten Sinne des Wortes komplett und lassen Patara vor dem inneren Auge entstehen.

Mit "Patara - Lykiens Tor zur römischen Welt" erhält nicht nur die Fachwelt einen Überblick über die aktuellsten Forschungsergebnisse, auch als interessierter Laie kann man sich keine anschaulichere Übersicht wünschen, zumal es sich hierbei um ein Gebiet handelt, das im öffentlichen Interesse eher nicht so hoch priorisiert wird, was bedeutet, dass sich auch nicht besonders viel Literatur dazu findet. Auch in diesem Sinne füllt dieser Band eine Lücke.

Sabine Mahnel
02.01.2017

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Havva Iskan, Christof Schuler, Sevket Aktas, Denise Reitzenstein, Andrea Schmölder-Veit, Mustafa Kocak (Hrsg.): Patara - Lykiens Tor zur römischen Welt

CMS_IMGTITLE[1]

Darmstadt: Verlag Philipp von Zabern 2016
144 S., € 29,95
ISBN: 978-3-8053-5034-1

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.