Wissenschaften

Adelheid Amalie Fürstin von Gallitzin: Leben und Wirken

Vor 200 Jahren starb Adelheid Amalie F?rstin von Gallitzin. Eine wissenschaftlichen Kriterien gen?gende Biographie und W?rdigung stehen bis heute aus. Hierauf macht der Band des Historikers und Kirchenhistorikers H?nsel-Hohenhausen aufmerksam.

Ursache f?r das Fehlen einer Biographie ist einerseits das Mi?verst?ndnis, bei der F?rstin handle es sich blo? um eine Figur der M?nsteraner oder der westf?lischen Geschichte. Die f?r die gr??eren geschichtlichen Zusammenh?nge eher gering eingesch?tzte Bedeutung ihrer Pers?nlichkeit, die au?erhalb Westfalens heute tats?chlich fast unbekannt ist, ist ein Ergebnis der wechselnden und konkurrierenden Bilder, die in den vergangenen zwei Jahrhunderten von der F?rstin entworfen wurden.

Amalie von Gallitzin und ihre sogar in mehreren Kontexten geniale Pers?nlichkeit eigneten sich als Projektionsfl?che f?r die kirchenpolitischen Streiter w?hrend des sog. Kulturkampfs in Preu?en, f?r die ?kumenischen Ireniker um 1848, f?r die Frauenpolitiker um 1900, f?r die Nationalisten des sog. Dritten Reichs, die die Gallitzin als deutsche Frau f?r sich reklamierten, f?r die Psychosomatiker dieser Zeit, die die F?rstin als Neurotikerin und Opiums?chtige und ihre religi?se Bekehrung als Ausdruck eines psychasthenischen Krankheitskomplexes sahen und f?r manche andere. Im Laufe der Zeit ist vor lauter Gallitzin-Bildern, so folgert H?nsel-Hohenhausen, die wahre Gestalt der gro?en Frau in der Tiefe der Geschichte versunken.

Es ist die Absicht dieses Buches, auf die wirkliche Bedeutung der F?rstin f?r die Geistesgeschichte aufmerksam zu machen, im besonderen auf ihre Wirkung auf die religi?se und philosophische Verfassung der Gegenwart. Wenn im 19. Jahrhundert dem nat?rlichen Humanismus der Weimarer Klassik ein christlicher Humanismus an die Seite trat, wenn Katholizit?t nicht mehr als Gegensatz zur Geistesbildung, sondern als deren Steigerung begriffen werden konnte, dann war dies auch das Verdienst der F?rstin Gallitzin und ihres Kreises. Schon die Zeitgenossen erachteten sie als den Goethe ihres Geschlechts.

Bezieht der Historiker die Frage der Bedeutung auf eine Person, mu? sich seine sich wissenschaftlich rechtfertigende Biographie der Dynamik dieser Pers?nlichkeit beugen und sich nach ihr verhalten, d.h. sozialhistorisch, wenn die Wirkung des Protagonisten gesellschaftlich oder politisch war, literaturhistorisch, wenn sie literarisch war usw.

Es ist deshalb die besondere Herausforderung einer Gallitzin-Biographie, da? die F?rstin ungew?hnlich vielseitig wirksam war. Sie beeinflu?te die Bildungsgeschichte, die Philosophie, die P?dagogik, die Literatur, die Idee der Emanzipation der Frau, die Freundschaftskultur, die ?bersetzungsgeschichte, die Briefkultur, die Wiederentdeckung der deutschen Sprache durch die kulturell f?hrenden Kreise.

Sie war ?ber allem jedoch Urheberin oder Repr?sentantin der im Kreis von M?nster ausgebildeten neuen Fr?mmigkeit, einer auf mittelalterliche mystische Traditionen sich st?tzenden Innerlichkeit, und eines innerhalb des Katholizismus zukunftsweisenden und im aufgekl?rten Subjektivismus gr?ndenden Christusglaubens.

Sie hat einen Zugang zum katholischen Glauben gefunden, der sich dem verstandesgeleiteten Menschen von heute erschlie?en kann, eine Glaubenshaltung, die das Selbstvervollkommnungsideal der Humanisten nicht ablegt, sondern mit Innerlichkeit und Reflexivit?t zur christlichen Selbstheiligung erh?ht, ein Verst?ndnis des Glaubens aus der Erkenntnis, da? wir auch ohne Religion und Kirche bereits einen Glauben haben, n?mlich den an die Autorit?t des Verstandes.

Die Romantik, selbst eine Sonderform der Aufkl?rung, grenzt sich dagegen ab, denn sie offeriert sich blo? dem Gef?hl der verstandesgeleiteten Zeitgenossen. Es ist deshalb eines der gro?en Mi?verst?ndnisse, die F?rstin sei Mitbegr?nderin des romantischen Katholizismus gewesen, der doch nicht mehr als eine katholisierende Romantik ist. Die Aufkl?rerin erschlo? sich, und dies ist das Neue, das Gegenteil des romantischen Katholizismus, n?mlich den r?mischen Katholizismus, der eine gestaltende Kraft der Moderne geworden ist.

Leben und Wirken der F?rstin m?ssen daher vor allem andern ein Gegenstand der kirchen- und religionsgeschichtlichen Fragestellung sein. Sie darf aber gleichfalls nicht allein von diesem Blickwinkel betrachtet werden, wenn ihre Person, ihr Wollen und Wirken ? soweit dies als grunds?tzliches Problem des Biographierens einer historischen Pers?nlichkeit ?berhaupt m?glich ist ? verst?ndlich werden soll.

Mit seinem neuen Buch st??t der Verfasser ein wichtiges und nicht nur historisches Thema an, denn es ber?hrt die philosophische Grundfrage der Zeit. Wenn die F?rstin eine tragf?hige Antwort gefunden hat, dann mu? es auch f?r uns heute besonders lohnend sein, ihrem Leben und Wirken zu folgen.

Neben diesem Hinweis gelingt H?nsel-Hohenhausen erstmals die theoretische Begr?ndung des historischen Ranges der F?rstin Gallitzin. Sp?testens hier erkennt der Leser die Bedeutung des Buches.

Aus dem Inhalt:

Der geistesgeschichtliche Kontext um 1800/Spiritualit?t und Christusglauben aus Verstandesbildung und psychologischer Reflexion ? die Bedeutung der F?rstin Gallitzin und ihres Kreises/Das Problem einer Gallitzin-Biographie/Die Geschichte der Rezeption der F?rstin Gallitzin/Das erste ?ffentliche Gallitzin-Bild von Vo? (1819) und seine Korrektur durch Goethe (1822)/Exkurs: Goethe, Stolberg und die F?rstin/Von der Verurteilung zur Verkl?rung ? die Aufnahme in den Kanon der Kulturgeschichte (1819-1851)/Die Irrationalistin und Irenikerin (1840-1870)/Von der Kulturdame zur katholischen Heiligen und zur preu?ischen Patriotin, das Bild der F?rstin vor dem und im Kulturkampf (1871-1880)/Die christliche Suffragette ? zum Feminismus in der wilhelminischen Zeit (1905-1919)/Die Morphinistin und die deutsche Frau ? ein nationalsozialistischer und ein nationalistischer Entwurf (1937-1957)/Die Gew?hrsfrau f?r das Gute in der Geschichte der Deutschen ? zur Identit?tskrise nach dem Zweiten Weltkrieg/Der Verlust des letzten Gallitzin-Bildes durch die 68er Revolution und emanzipationshistorische und lokalhistorische Nachkl?nge/ Kommentierte Bibliographien zu Demetrius Prinz Gallitzin und F?stin Gallitzin/Aspekte der Wirkung/Die F?rstin und der Philosoph ? Amalia, Hemsterhuis und ihre Zusammenarbeit. Die erste Wirkungsperiode der Gallitzin von Marcel F. Fresco/Demetrius Augustin Prinz von Gallitzin ? Biographische Miniatur, gezeichnet von Ilse Pohl.

cb
03.09.2005

www.haensel-hohenhausen.info

 
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Das Buch:

Markus von Hänsel-Hohenhausen: Amalie Fürstin von Gallitzin. Bedeutung und Wirkung. Anmerkung zum 200. Todestag. Mit einem Beitrag über Frans Hemsterhuis und die Fürstin von Marcel F. Fresco und mit einer literarischen Miniatur von Demetrius Augustin Prinz von Gallitzin gezeichnet von Ilse Pohl

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Frankfurt a.M.: Verlag Der Cornelia Goethe Akademie
248 S.
ISBN: 3-89349-540-1

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