Wissenschaften

Unentbehrliche Hilfe für die Franz Brentano-Forschung

Chrudzimski unternimmt den Versuch, auch unter Einbeziehung der unveröffentlichter Manuskripte, vor allem auch die ontologische Natur der immanenten Objekte Brentanos deutlicher herauszuarbeiten. Dabei zeigt der Autor, daß das immanente Objekt der ersten Intentionalitätstheorie Brentanos "sich, wenn man es bezüglich seines Inhaltes untersucht, als ziemlich genaue Entsprechung des Fregeschen Sinnes" (4) erweist.

In der bekannten Schrift Psychologie vom emrischen Standpunkt (1874), in der Franz Brentano seine auf das Mittelalter zurückgehende Theorie der Intentionalität erstmals der Öffentlichkeit vorstellt, teilt er alles, was uns erfahrungsmäßig zugänglich ist in physische und psychische Phänomene ein. Die letzteren unterscheiden sich von den ersteren dadurch, daß sie intentional sind, d.h. daß nach Brentano alle psychischen Phänomene eine Beziehung auf etwas besitzen. Vorstellen ist vorstellen von etwas, fühlen ist fühlen von etwas, urteilen ist urteilen über etwas. Ohne diesen Bezug auf etwas sind psychische Phänomene nicht zu begreifen. Die Selbstverständlichkeit, die dieser Sachverhalt heute für uns hat, geht auf Brentano zurück.

Psychische Phänomene sind auf etwas gerichtet, und das, worauf sie gerichtet sind, nennt Brentano das Objekt der Intentionalität. Das Problem, das sich hier ergibt, ist die Frage nach dem ontologischen Status der Objekte. Nicht selten nämlich stellen wir etwas vor, das, wie man gemeinhin sagt, nicht existiert. Einige intentionale Objekte gibt es auch dann, wenn sie nicht intentional erfaßt werden, während andere nur für ein intentionales Bewußtsein existieren. Wie können wir erkennen, ob ein intentionales Objekt auch dann existiert, wenn es in keiner intentionalen Beziehung steht? Diese und ähnliche weitere Fragen ergeben sich unmittelbar für jeden, der die Intentionalität anerkennt.

Chrudzimski nennt vier Merkmale, die die frühe Theorie Brentanos charakterisieren (21 f.): 1. Die intentionale Beziehung ist eine zweistellige Relation und eine solche erfordert die Existenz beider Glieder der Relation. 2. Das erste Relationsglied ist der mentale Akt, das zweite Glied hingegen ist das Zielobjekt des mentalen Aktes. 3. Dieses zweite Glied, daß Objekt des intentionalen Aktes, wird von Brentano nun aber als "nichts Reales" bezeichnet. Es ist nicht die Ursache und übt keine Wirkung auf das Bewußtsein aus, d.h. für Brentano, es ist ‚irreal‘. 4. Das Objekt ist somit untrennbar real mit dem Bewußtseinsakt verbunden. "Es kann eventuell nur rein distinktionell, d.h. nur in den Gedanken, nicht aber real, separiert werden (22).

Zusammengefaßt besagt dies bezüglich des intentionalen Objektes, daß dieses ein immanenten Objekt ist, d.h. es ist in ontologischer Hinsicht nichts anderes als ein Korrelat des Bewußtseinsaktes. Diese Überlegungen führen Chrudzimki zu der Schlußfolgerung, daß die frühe Theorie Brentanos "ein klares Beispiel einer reinen Objekt-Theorie der Intentionalität ist. Mit einer Objekt-Theorie haben wir es dann zu tun, wenn man für die Lösung der Probleme der intentionalen Beziehung spezielle Entitäten einführt, die als Zielobjekte der Intentionen fungieren" (25).

Allerdings besteht das besondere der Objekt-Theorie Brentanos darin, daß er zwei Objekte einführt. Denn das innere Objekt kann, muß aber nicht, auf eine äußeres Objekt bezogen sein. Hierin sieht der Autor nun nicht nur eine Entsprechung zu der Theorie von Inhalt und Gegenstand der Vorstellung des Brentano-Schülers Twardowski, sondern auch zu Freges Unterscheidung von Sinn und Bedeutung eines Begriffs.

Nach diesen grundlegenden Erörterungen wendet sich der Autor im zweiten Kapitel der Lehre von Urteil und Wahrheit zu, die in engem Zusammenhang mit der Intentionalitätstheorie Brentanos steht. Das dritte Kapitel thematisiert die innere Wahrnehmung und die Brentanosche Erkenntnistheorie, das vierte Kapitel wendet sich dann den Problemen der Abstraktion, der Allgemeinheit und der Apodiktizität zu und die ontologische Problematik der Eigenschaften wird im fünften Kapitel behandelt. Im sechsten Kapitel zeigt Chrudzimski die Beziehung der Theorie Brentanos zu der seiner Schüler, insbesondere zu Twardowski, Meinong und Husserl und wendet sich dann im letzten Kapitel der späten, reistischen Theorie Brentanos zu.

Die Untersuchung Chrudzimskis ist eine unentbehrliche Hilfe für die Brentano-Forschung dar. Sie klärt wesentliche Aspekte der frühen Theorie Brentanos und ist besonders durch ihre klare, analytische Darstellung von besonderem Wert. Auch die gute Kenntnis und Einbeziehung der Ontologie Brentanos und der aktuelleren, analytisch-orientierten ontologischen Diskussion ist besonders hervorzuheben.

rhu
09.04.2002

 
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Das Buch:

Arkadiusz Chrudzimski: Intentionalitätstheorie beim frühen Brentano

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Dordrecht/Boston/London: Kluwer Academic Publishers 2001
296 S., € 116,99
ISBN: 0-7923-6860-6

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