Hörbücher

Der ewige Honey

Man stelle sich einfach mal vor, dass der langjährige Generalsekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Erich Honecker, im Jahre 1994 sein Ableben in der chilenischen Hauptstadt Santiago de Chile nur fingiert hätte, um in aller Abgeschiedenheit sein Leben unbehelligt fortführen zu können. Ein absurdes Gedankenspiel? Mitnichten, wie Jorge Nicolás Sanchez Rodriguez glaubhaft zu berichten weiß. Denn er war als persönlicher Chauffeur und Helfershelfer der Honeckers im Andenstaat ganz nah dran am einst mächtigsten Mann der Deutschen Demokratischen Republik und einer der ganz wenigen Mitwisser um das große Geheimnis Honeckers. Das dieser Tage von dem Chilenen herausgebrachte Dokumentationsmaterial "Erich Honeckers geheimen Tagebücher 1994 - 2015" soll beweisen, dass Honecker am Ende seiner Tage nochmal alle an der Nase herumgeführt hatte.

Okay, was gut klingt und mit ein wenig Verschwörungstheorie gerne auch glaubhaft gemacht werden könnte, ist schlussendlich nur das brillante Machwerk zweier fantasievoller Autoren, nämlich von Ralf Heimann und Daniel Wichmann. Die beiden haben unter dem Pseudonym des fiktiven Jorge Nicolás Sanchez Rodriguez ihre Idee zu Papier gebracht, wie es denn gewesen wäre, wenn Honecker das Ende seiner DDR länger als die bekannten vier Jahre überlebt hätte und wie er die weitere Entwicklung des zusammengewachsenen Deutschlands sowie der gesamten Weltgemeinde aus seiner Brille denn so gesehen und beurteilt hätte. Herausgekommen ist dabei ein fiktives Tagebuch über die zwei Jahrzehnte nach Honeckers Tod, als wenn Honecker im stillen Kämmerlein und fernab jeglicher Öffentlichkeit den Lauf der Dinge als unverbesserlicher, weil weiterhin überzeugter Sozialist kommentiert hätte.

Die von den beiden Autoren konstruierte Fiktion lässt einen sofort an zwei Bestseller der jüngeren Vergangenheit erinnern: Zum einen an Simon Urbans fiktiven Roman "Plan D", in dem die DDR tatsächlich gar nicht zusammengebrochen war, sondern über das Jahr 1990 hinaus existierte, und zum anderen an Timur Vermes´ satirischen Kassenschlager "Er ist wieder da" mit der Wiederauferstehung Adolf Hitlers. Letzteres wurde vor allem auch dank des von Christoph Maria Herbst genial inszenierten Hörbuchs zum Hit, während die im vergangenen Jahr nachgeschobene Verfilmung zwar ganz ordentlich war, aber keineswegs der Vorlage von Vermes das Wasser reichen konnte.

Für die Erzählung der Tagebucheinträge Honeckers zeichnet in der ungekürzten Hörbuch-Ausgabe Reiner Kröhnert verantwortlich. Der für seine stimmlichen Parodien bekannte Kabarettist liefert einen vorzüglichen Auftritt ab und lässt die unsäglichen Auftritte des Originals von einst wieder lebendig werden. Die Autoren haben die zeitgeschichtliche Entwicklung nach dem 29. Mai 1994, dem angeblichen Todestag Honeckers, als Basis für dessen Kommentierungen herangezogen. Sie inszenieren einen höchst erheiternden Blick in die Ansichten im tiefsten Inneren Honeckers, wenn dieser sich beispielsweise über demokratische Wahlen echauffiert, da es bei Wahlen doch lediglich um den formalen Akt gehe und niemals um das Ergebnis selbst.

In dem siebeneinhalb Stunden dauernden Hörbuch nehmen die internen Zwistigkeiten im Alltag zwischen Erich und Margot einen großen Raum ein, doch in der Beurteilung der Weltpolitik sind sich die beiden zumeist einig. So altern die beiden in Chile dahin, bis die beiden Autoren schließlich auch noch einen gelungenen Abschluss für das Jahr 2015 finden. Mit "Hier ist alles Banane" ist Heimann und Wichmann ein richtig großer Wurf gelungen, der bei so manchem Hörer sicherlich für Momente der öffentlichen Entblößung sorgen wird, wenn sie während des Hörens das eine oder andere Mal lauthals lachend oder zumindest beständig schmunzelnd durch die Gegend gehen und von ihren Mitmenschen schräg angeschaut werden. Und außerdem erfährt man endlich, was einst im real existierenden Sozialismus zwischen Margot Honecker und Günter Mittag lief, welchen Wert Erich Honecker seiner Videosammlung beimaß und wie sehr er die junge Uschi Glas verehrte, obgleich ihr Film "Zur Sache, Schätzchen" nicht ganz hielt, was der Titel eigentlich versprach.

Christoph Mahnel
12.09.2016

 
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Das Buch:

Jorge Nicolás Sanchez Rodriguez (Hg.): Hier ist alles Banane. Erich Honeckers geheime Tagebücher 1994 - 2015

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Sprecher: Reiner Kröhnert, Torben Kessler
Hamburg: Hörbuch Hamburg 2016
Spieldauer: 488 Min., € 14,99
ISBN: 978-3-95713-046-4

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