Hörbücher

Von Schrapnellen und Füsilieren

In diesem Jahre 2014 jährt sich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum einhundertsten Male, so dass der Büchermarkt dieser Tage mit unzähligen Werken zum Gedenken an die Urkatastrophe des Zwanzigsten Jahrhunderts überschwemmt wird. Neben Büchern, die retrospektiv die Ereignisse aufarbeiten, einordnen und bewerten, finden sich darunter auch die Klassiker, die im Zuge dessen eine Neuauflage erfahren. In letzte Kategorie fällt eines der populärsten, aber auch umstrittensten Werke zum Ersten Weltkrieg, der Bericht des Kriegsfreiwilligen Ernst Jünger, der einst als Twen in viele Schlachten in Frankreich und Belgien verwickelt war und diese in seinem Kriegstagebuch "In Stahlgewittern" festhielt.

Jünger war 1895 in Heidelberg geboren worden und verbrachte seine Kindheit in Hannover. Schon früh zog es ihn zum Militärischen. Sein Vater unterband Jüngers Versuch, als Achtzehnjähriger bei der Fremdenlegion anzuheuern. Doch bereits zwei Jahre später wurde seine Sehnsucht nach dem Abenteuer gestillt. Kurz nach Kriegsbeginn hatte sich Jünger als Kriegsfreiwilliger für den Einsatz an der Front gemeldet, um noch vor Ende des Jahres 1914 in Frankreich in Stellung gebracht zu werden.

Im Laufe des Krieges wird Jünger mehrfach verwundet, zum Infanterieoffizier ausgebildet und schließlich mit dem bedeutendsten preußischen Militärorden "Pour le Mêrite" ausgezeichnet. Seine Erlebnisse in den Schützengräben und an der Front hat Jünger minutiös notiert und im Nachgang in dem vorliegenden Werk "In Stahlgewittern" dokumentiert, das erstmals im Jahre 1920 erschienen war. Es folgten zahlreiche Überarbeitungen und Neuveröffentlichungen, die Jünger in seinem langen Leben vornahm. Jünger starb 1998 im beinahe schon biblischen Alter von 102 Jahren und steht dank seiner Niederschriften wie kein Zweiter für die Garde der jungen Offizieren, die im Ersten Weltkrieg mit Feuer und Flamme in die Schlacht zogen, aber "am Ende bestenfalls das Eiserne Kreuz davontrugen".

Die vorliegende Hörbuch-Box enthält die erstmalige Vertonung dieses 94 Jahre alten Klassikers. Der Bayerische Rundfunk hat diese 10 CDs umfassende Komplettlesung zusammen mit dem Hörverlag produziert und zum Jahrestag des Kriegsausbruchs herausgebracht. Für die Lesung konnte mit dem 1982 geborenen Tom Schilling ein für das Werk doch recht junger Schauspieler gewonnen werden, dem man aufgrund des deutlichen Altersunterschieds zunächst mit ein wenig Skepsis begegnen mag. Doch erweist sich dieser Vorbehalt rasch als unbegründet, denn Schillings Vortrag transportiert die Atmosphäre des Weltenbrandes hervorragend. Seine eindringliche Stimme erweist sich als Glücksgriff für die Vertonung dieses Klassikers.

Auf der zehnten und letzten CD findet sich mit einem Originalredebeitrag anlässlich der Verleihung des Goethepreises 1982 noch ein Tondokument aus erster Hand, in dem Jünger sein Verhältnis zu Goethe, der ihn zeitlebens begleitete, in den Mittelpunkt stellt. Die Bewertung Jüngers war stets eine umstrittene. Dies wird auch demjenigen klar, der dank dieses Hörbuchs erstmals mit "In Stahlgewittern" in Berührung kommt. Man mag kaum glauben, dass Jünger in der Lage ist, die Vorgänge in den Schützengräben nahezu vollständig frei von Bewertungen zu berichten. Anders als der pazifistische Erich Maria Remarque, der in seinem "Im Westen nichts Neues" das Antikriegsbuch zum Ersten Weltkrieg verfasst hatte, ist Jüngers Erlebnisbericht von Neutralität in der Darstellung geprägt.

Ernst Jünger hat einen unglaublichen Aufwand betrieben, um seine Erlebnisse für die Nachwelt festzuhalten. Man erwischt sich beim Hören oftmals dabei, ungläubig den Kopf zu schütteln, wenn Jünger wieder einmal davon berichtet, dass in der Waffe eines aufgefundenen englischen Soldaten noch genau vier Patronen enthalten waren. Jünger nutzte nach eigener Aussage jede freie Minute, um sich Notizen zu machen, so dass "In Stahlgewittern" der ultimative Erlebnisbericht von der Front des Ersten Weltkriegs ist. Kein anderes Werk kann mit so vielen Details über den Alltag in den Schützengräben aufwarten wie das vorliegende.

Im Ausland wird Jünger deutlich weniger kritisch gesehen als in Deutschland. Sein Werk genießt beispielsweise in Frankreich allerhöchste Anerkennung. Das diesem Hörbuch beiliegende Booklet enthält eine Laudatio des englischen Schriftstellers Bruce Chatwin, der versucht, Jüngers Wirken und seine Werke einzuordnen und zu würdigen. "In Stahlgewittern" wird mit der vorliegenden Audiofassung einen neuen Zugang zu vielen Menschen finden, die ob der Neutralität Jüngers in der Darstellung der Ereignisse ihre mutmaßlich sehr breit gefächerten Interpretationen und individuellen Schlüsse aus diesem Klassiker ziehen werden.

Christoph Mahnel
16.06.2014

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Ernst Jünger: In Stahlgewittern

CMS_IMGTITLE[1]

Sprecher: Tom Schilling
München: Der Hörverlag 2014
Spielzeit: 733 Min., € 34,99
ISBN: 978-3-844-51332-5

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.