Hörbücher

Die Mutter aller Dystopien

Die Welt in einer fernen Zukunft: Die Menschheit ist in einem Weltstaat vereinigt und wird von einer Weltregierung geleitet. Menschen entstehen dank optimierter künstlicher Befruchtung punktgenau und zielgerichtet. Es gibt keine natürlichen Geburten mehr, Leben entsteht ausschließlich in der Petrischale. Je nach den Bedürfnissen des Staates werden Menschen mit entsprechenden Fähigkeiten geschaffen. Das Kastenwesen reicht von Alpha-Menschen für Führungsaufgaben bis hin zu Epsilon-Menschen, die niedere und einfache Arbeiten erledigen. Der Fokus der modernen Zivilisation liegt auf dem Kollektiv, jeglicher Individualismus wird vermieden.

In dieser jungen und gesunden Gesellschaft, die keine Krankheiten mehr kennt, ist der Hauptdarsteller Bernhard Marx, ein Alpha-Minus, ein Sonderling. Bernhard weiß den Anblick und die Schönheit der Natur zu schätzen. Gerne ist Bernhard auch mal alleine und gibt sich seiner Melancholie hin, während alle anderen um ihn herum Soma konsumieren. Soma ist die Volksdroge, die man nimmt, sobald man negative Schwingungen bei sich aufkommen spürt. Das polygame Sexualleben basiert nicht mehr auf festen Partnerschaften, da Liebe und Emotionalität die Stabilität der Zivilisation gefährden. Bernhard jedoch tickt anders, er findet Lenina attraktiv und sehnt sich nach einer festen Partnerschaft mit ihr.

Schließlich gelingt es Bernhard, mit Lenina einen gemeinsamen Urlaub zu machen. Die beiden reisen an den Rand der Gesellschaft, wo Wilde in einem Reservat leben. Als Wilde werden Menschen bezeichnet, die ihre Kinder noch selbst gebären und auch sonst die Gepflogenheiten der modernen Zivilisation nicht angenommen haben. Diese Reise ist für Bernhard ein Denkanstoß, das Leben und die Konventionen in der schönen neuen Welt zu überdenken. Gleichzeitig macht er bei den Wilden eine Entdeckung, die das gesamte System ins Wanken bringen kann.

Im Jahre 1932 erschien Aldous Huxleys "Schöne neue Welt" erstmals und etablierte sich in den vergangenen 80 Jahren als eines der bedeutendsten Werke der modernen Literatur. In sämtlichen Listen der wichtigsten Bücher, egal ob in England, Frankreich oder Deutschland, findet sich dieses Frühwerk des in England geborenen und später in den Vereinigten Staaten lebenden Schriftstellers. Es ist eine der ersten Dystopien der Literaturgeschichte und gehört mit Werken wie "1984", "Herr der Fliegen" und "Fahrenheit 451" zu den Klassikern dieses Genres.

Gleich nach dem Erscheinen des englischen Originals wurde "Brave New World" ins Deutsche übersetzt. In der Zwischenzeit erfuhr der Roman mehrere Neuübersetzungen. Dieser Tage erfolgte eine Überarbeitung durch Uda Strätling, die auch die Basis für das vorliegende Hörbuch ist. Matthias Brandt spricht die vollständige Lesung von "Schöne neue Welt" über mehr als acht Stunden. Dass einem bei diesem Sprecher und dieser Lektüre nicht langweilig wird, versteht sich natürlich von selbst. Doch Brandt macht diese Dystopie zu einem Erlebnis: Mit leichten Stimmanpassungen an die jeweiligen Charaktere navigiert er den Hörer durch die schöne neue Welt.

Das Stück kommt ohne dramaturgische Kniffe wie Cliffhanger oder konstruierte Spannungsbögen aus, sondern weiß überwiegend mit seiner grundlegenden Idee zu glänzen.

Trotz seines beachtlichen Alters ist "Schöne neue Welt" immer noch topaktuell und geradezu ein hypermodernes Buch. Es ist schlicht faszinierend, wie tiefgehend Huxley seine Welt und die Gesellschaft der Zukunft durchdacht und schließlich konstruiert hat. Aus heutiger Sicht empfindet man viele Methoden der modernen Zivilisation als sehr brutal, wenn beispielsweise Kinder mit Stromstößen erzogen werden. Jedoch erscheinen einem groteskerweise die jeweiligen Erklärungen durch die Oberen plausibel und schlüssig.

Bedenkt man die in den vergangenen Jahrzehnten gemachten Fortschritte in Sachen Reproduktionsmedizin und Genmanipulation, kommt man nicht umhin, Huxley als Visionär, beinahe schon als Hellseher zu bezeichnen. Erschreckend vernimmt man, wie die heutige Zivilisation in "Schöne neue Welt" als Wilde bezeichnet und beschreiben wird und die Werte der heutigen Gesellschaft innerhalb weniger Generationen belächelt und verworfen werden.

"Schöne neue Welt" wird nach den acht Stunden Spielzeit und dem Entnehmen der sechsten und letzten CD nicht einfach ins Regal zurückgestellt. Dieses Werk vermittelt derart vielschichtige Botschaften und gibt Denkanstöße in zahlreiche Richtungen, so dass es beim Hörer noch einige Zeit nachhallen wird. Da die moderne Zivilisation Huxleys eine offensichtlich glückliche Gesellschaft beherbergt, umtreibt einen vor allem die Frage, welchen Preis diese Gesellschaft für ihr Glück zu zahlen hat und ob dieser Preis eventuell gerechtfertigt ist?

Christoph Mahnel
14.10.2013

 
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Das Buch:

Aldous Huxley: Schöne neue Welt. Aus dem Englischen von Uda Strätling

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Sprecher: Matthias Brandt
München: Der Hörverlag 2013
Spielzeit: 482 Min., € 19,99
ISBN: 978-3-8445-1243-4

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