Hörbücher

Sechzig Jahre bundesrepublikanische Kakophonie

Das vorliegende Hörbuch "Mit Verlaub, Herr Präsident!" ist ein kleines Juwel unter den diesjährigen Neuerscheinungen auf dem Hörbuchmarkt: Anhand von Reden, Zitaten und Verbalschlachtfragmenten gelingt Autor Jürgen Roth in gut zweieinhalb Stunden ein Schnelldurchlauf der besonderen Art durch sechzig Jahre deutscher Nachkriegsgeschichte. Größtenteils chronologisch führt er den Hörer von den Anfängen der Bundesrepublik Deutschland über die Ära Adenauer, die Große Koalition, die sozial-liberale Koalition und ihr Scheitern mit der Übernahme durch Helmut Kohl bis in die Nachwendezeit. Die letzten zehn Jahre werden allerdings nur am Rande behandelt. Warum? Dazu vergleiche man nur die rhetorischen Fähigkeiten eines Frank-Walter Steinmeier und einer Angela Merkel mit denen eines Herbert Wehner und eines Franz Josef Strauss.

Als Sprecher für das Hörbuch konnte "Mr. Hörbuch" Gert Heidenreich gewonnen werden, was alleine bereits erfolgversprechend ist. Bissig und zynisch kommentiert er sowohl rhetorische Glanzleistungen als auch Stoibersche Haspeleien. Manche Ausschnitte dagegen bedürfen keines Kommentars, für sie ist der Zusatz "Ohne Worte" völlig ausreichend, wie z.B. bei Erich Mielkes lächerlichem Bekenntnis vom 13.November 1989 vor der DDR-Volkskammer, dass er "doch alle Menschen liebe". Bei anderen Einspielungen dagegen reicht bereits das Knistern des originalen Live-Mitschnittes, um beim Hörer Gänsehaut zu erzeugen, etwa bei Ernst Reuters Appell an die Weltgemeinschaft zur Zeit der Berlin-Blockade: "Ihr Völker der Welt! … Schaut auf diese Stadt!"

Letztlich sind es die üblichen Protagonisten, die dieses Hörbuch prägen: Adenauer, Strauss, Wehner, Brandt, Schmidt und Kohl. Der Rest war zwar nicht nur Schweigen, doch letztlich in seiner rhetorischen Gesamtheit uniformer und angepasster als jeder einzelne dieser sechs. Insbesondere gilt dies für die heutige Politikergeneration, der zu Recht auf dem vorliegenden Hörbuch nur wenig Platz eingeräumt wird. Roth hat dem "großen Beller" Herbert Wehner sogar ein eigenes Kapitel gewidmet. Wie auch immer man dem Politiker Franz Josef Strauss gegenüberstehen mag, seine spontane Redekunst, aus dem Stegreif Einwände mal humorvoll, mal derb und direkt abzuschmettern, sucht seinesgleichen. Gerade dieser Tage vermisst man solche Typen mit Ecken und Kanten, denn es wächst beim Hörer die Wehmut ob der Vergangenheit und ihrer harten Bandagen, mit denen im Bundestag und auf der politischen Bühne gekämpft wurde. Es verfestigt sich der Eindruck, dass heute mehr Berufspolitiker denn wirklich von ihrer Arbeit überzeugte Staatsmänner am Start sind.

Untermalt wird dieses Feuerwerk an Bonmots durch musikalische Einspielungen von Timmi Timmermann und seiner Band Evergreen Juniors. Es ist ein Genuss, wie vielfältig sich das Deutschlandlied interpretieren lässt, mal klassisch und mal mit der E-Gitarre, so dass man sich an Jimi Hendrix und seine Version der amerikanischen Nationalhymne erinnert fühlt. Ein kleiner Wehmutstropfen bleibt aufgrund der ostentativen Linkslastigkeit des Autors Jürgen Roth, der aus seiner politischen Gesinnung auch keinen Hehl macht. Im beiliegenden Booklet erzählt er, wie ihn in jungen Jahren die Reden Wehners, Brandts und Schmidts elektrisiert und auf ihre Seite gezogen haben. Aber auch dies werden ihm politisch anders gesinnte Hörer verzeihen, denn wann bieten einem zweieinhalb Stunden Politik und Geschichte schon so viele Möglichkeiten des Schmunzelns und der Erheiterung?

Christoph Mahnel
22.06.2009

 
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Das Buch:

Jürgen Roth: Mit Verlaub, Herr Präsident ...: Große Männer, grobe Worte, geniale Reden. Ein Streifzug durch 60 Jahre BRD. Mit Musik von den Evergreen Juniors

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Sprecher: Gert Heidenreich
München: Antje Kunstmann Verlag 2009
Spielzeit: 155 Min., € 19,90
ISBN: 978-3-888-97563-9

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