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Im Gespräch mit den Toten

Jamie Conklin, ein Junge aus New York, schlägt sich mit seiner alleinerziehenden Mutter, einer Literaturagentin, mehr schlecht als recht durchs Leben. Einen einzigen großen Fisch hat diese mit Regis Thomas an der Angel, einem Schriftsteller, der mit den Büchern seiner Reihe stets in den Bestsellerlisten platziert ist. Nun steht der mit Spannung erwartete Abschlussband kurz bevor, doch da segnet Regis Thomas kurz vor Fertigstellung des Romans urplötzlich das Zeitliche. Jamies Mutter ist der Verzweiflung nahe, nachdem ihr im Zuge der Finanzkrise die Rechnungen über den Kopf gestiegen sind. Doch besitzt Jamie eine Gabe, von der er Jahre zuvor erstmals erfahren hat. Jamie kann nämlich tote Menschen sehen und mit ihnen sprechen, zumindest in den ersten Tagen nach deren Tod. Überdies müssen sie Jamie alle Fragen wahrheitsgemäß beantworten.

Dieses Geheimnis teilt Jamie exklusiv mit seiner Mutter, bis zum Tode von Regis Thomas. Um sich der Leiche des Autors nähern zu können, weiht diese ihre Freundin Liz von der New Yorker Polizei ein. Tatsächlich gelingt es Jamie, Regis Thomas Antworten auf alle über das bisherige Manuskript hinausgehenden offenen Fragen zu entlocken, so dass seine Mutter in der Lage ist, das letzte Buch der "Roanoke"-Reihe zu vollenden. Natürlich wird dieses ein voller Erfolg, so dass Jamie und seine Mutter in nächster Zeit sorgenfrei und ohne Geldnöte leben können. Wenn nur damit nicht Begehrlichkeiten bei Liz geweckt worden wären, die sich Jamie und seine Gabe zunächst mit hehren Absichten, später mit krimineller Gier zu Nutze machen möchte. Dabei wächst schließlich ein Dämon heran, der sich anschickt, Jamie fortan das Leben zur Hölle zu machen.

"Später" lautet der Titel des neuesten Stephen-King-Romans. Angesichts bisheriger Werke mit Seitenzahlen gerne auch mal im vierstelligen Bereich kommt dieses Buch wie eine Kurzgeschichte daher: Schlappe 300 Seiten umfasst die Buchausgabe, auch die ungekürzte Hörbuchausgabe lässt sich mit gut siebeneinhalb Stunden recht zeitnah konsumieren. Im Opus des amerikanischen Bestsellerautors existieren tatsächlich einige Kurzgeschichten, eine Form, auf die King immer wieder gerne zurückgreift, mit ähnlichen Volumina. Für die Hörbuchausgabe sitzt selbstredend David Nathan am Mikrofon, der Berliner Vielsprecher fungiert seit Jahren als die Stimme Stephen Kings und verleiht damit den Werken des Meisters das gewisse Etwas.

Das vorliegende Hörbuch beginnt richtig stark mit Jamies Bekenntnissen zu seiner Gabe und dem Schockmoment der ersten Begegnung mit einem Toten im Central Park. "Später" ist als "Coming of Age"-Geschichte aus der Perspektive Jamies als Ich-Erzähler angelegt. Doch nach der Episode mit Regis Thomas und erst recht nach der Befragung eines toten Bombenattentäters flacht die Story deutlich ab. Jamies Bemühungen, seinen Dämon zur Strecke zu bringen, driften ins Phantastische ab und kommen irgendwie nur recht halbherzig daher. Glücklicherweise zieht die Geschichte am Ende nochmal richtig an und der Twist, den King schließlich ganz zum Schluss parat hält, sorgt garantiert für viele herunterfallende Kinnladen. Für gewöhnlich versteht es King ganz hervorragend, den Spannungsbogen auf extrem hohem Level zu halten, um diesen im Finale dann nochmal zu steigern. Diesbezüglich hinkt "Später" dem ansonsten so hohen Niveau Kings doch etwas hinterher.

Cineasten fühlen sich bei der Geschichte Jamie Conklins natürlich an "The Sixth Sense" erinnert, den Film mit Bruce Willis in der Hauptrolle eines Psychologen, der einen kleinen Jungen in Behandlung hat, der tote Menschen sehen und mit ihnen sprechen kann. Auch bewegt sich King in "Später" wieder wie in seiner guten alten Zeit deutlich mehr in Richtung des Übernatürlichen, nachdem er in jüngster Vergangenheit doch eher als brillanter Geschichtenerzähler geglänzt hat. Stephen Kings Klaviatur ist eben sehr breit gefächert und wird von ihm von oben nach unten gleichbleibend gut bespielt. Dennoch wird "Später" im gesamten Opus des mittlerweile 73-jährigen Autors sicherlich nur als Übergangswerk Erwähnung finden. Für King-Fans ist es dennoch ein Muss und darf definitiv nicht übergangen werden. Doch da selbst mittelmäßige Bücher eines Stephen King im gesamten Universum immer noch weit oben rangieren, sind die 300 Seiten bzw. die 460 Minuten des Hörbuchs zweifellos eine lohnenswerte Angelegenheit.

Christoph Mahnel
03.05.2021

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