Hörbücher

Aller Anfang ist schwer

Ein Mann trifft eine Frau. Die Begegnung trifft ihn wie der Schlag einer Keule. David ist fasziniert vom Anblick der Frau, die südeuropäischer Herkunft zu sein scheint und in einem Laden Kleider anprobiert. Maria ist ihr Name. Doch gerät die allgemeine und gegenseitige Vorstellung recht kurz, vor allem werden beiderseits rasch die Absichten geklärt. David bietet ihr sogleich seine Beratung an, was die Wahl und den Kauf des Kleides betrifft. Auch hält David mit dem Verlangen, mit ihr zu schlafen, nicht hinterm Berg. Passenderweise bejaht Maria ihrerseits diese Anfrage. So landen die beiden im Bett, doch scheinen sie als Paar keine Zukunft zu haben. Maria verschwindet, doch hat sie noch vor ihrem nächsten Treffen ihr Leben in einem Brief an David zusammengefasst. Die fehlende Aussicht, mit Maria eine feste Beziehung eingehen zu können, bestimmt fortan Davids Dahintreiben durch das Leben.

"Der Choreograph" lautet der Titel dieser Liebes- und auch Kriminalgeschichte. Als Autor prangt einem mit Håkan Nesser sogleich einer der ganz großen Namen der zeitgenössischen Belletristik entgegen. Der im Jahre 1950 im schwedischen Kumla geborene Nesser gehört zweifelsohne zu den erfolgreichsten Schriftstellern im Hier und Jetzt. Das Genre des schwedischen Kriminalromans hat er zusammen mit Henning Mankell geprägt wie kein anderer. Mitte der Neunziger Jahre begründete er mit den Van-Veeteren-Romanen seine außergewöhnliche Karriere. Über eine Dekade lang produzierte er einen Erfolgsroman nach dem anderen. Anschließend bestätigte er seine herausragenden schriftstellerischen Fähigkeiten in der Reihe um Kommissar Barbarotti. Und zwischendurch streute er den einen oder anderen eigenständigen Roman ein, mit "Kim Novak badete nie im See Genezareth" gelang ihm dabei anno 1998 sein wohl allergrößter Erfolg. Diese tragische "Coming-of-Age"-Geschichte ist heute Bestandteil des schwedischen Schulstoffs.

Seinen Debütroman legte Håkan Nesser allerdings bereits fünf Jahre vor dem ersten Van-Veeteren-Roman auf den Tisch: "Der Choreograph" erschien anno 1988, seinerzeit allerdings nur im schwedischen Original. Eine deutsche Übersetzung war vor 32 Jahren angesichts des noch fehlenden Bekanntheitsgrades Nessers nicht in Auftrag gegeben worden. Um diese Lücke im Opus Nessers zu schließen, haben der btb Verlag sowie der Hörverlag beschlossen, anlässlich des 70. Geburtstags Nessers im Februar 2020 eine deutsche Übersetzung von dessen Debütroman sowie eine ungekürzte Lesung als Hörbuch zu veröffentlichen. Die Vorfreude darauf war insbesondere bei den zahlreichen Anhängern des schwedischen Erfolgsautors immens. Doch leider enttäuschte das Produkt auf der ganzen Linie. Nach dem Hören der vorliegenden, wie immer stimmlich vorzüglich von Dietmar Bär vorgetragenen Hörbuchausgabe fragt man sich, was der Autor einem in den vergangenen fünfeinhalb Stunden erzählen wollte.

Sicherlich trägt "Der Choreograph" bereits einige Elemente in sich, die in späteren Nesser-Romanen als dessen Erfolgsstil ausgemacht werden können. Angesichts einer lähmenden Grundhandlung enttäuscht der Einsatz dieser Mittel im vorliegenden Roman leider vollends. Nesser ist bekannt dafür, dass er unter allen Krimiautoren Skandinaviens einer der größten Literaten ist. Wenn allerdings die Handlung verworren hin und her wabert, sehnt man sich nach Sätzen, die Klarheit und Orientierung bringen. Nessers im Laufe der Jahre liebgewonnene Gewohnheit, Orte und Namen von Personen im kafkaesken Sinne mit dem ersten Buchstaben abzukürzen, treibt einen in "Der Choreograph" schier zum Wahnsinn, wenn die Rede ist von K. und den Kollegen W., S., T. und wem auch immer noch. Wollte Nesser etwa die Personen bewusst undeutlich zeichnen? Falls ja, dann ist ihm dies ganz hervorragend gelungen.

Glücklicherweise ist der Debütroman Håkan Nessers erst erschienen, als dieser seinen Zenit als Autor bereits erklommen hatte. Wäre "Der Choreograph" als Einstieg in Nessers Werk publiziert worden, hätten sicherlich viele Leser Håkan Nesser völlig zu Unrecht auf ihre persönliche schwarze Liste gesetzt. Positiv ist Nesser zuzuschreiben, dass es ihm in seiner mehr als dreißigjährigen Autorenlaufbahn gelungen ist, sich weiterzuentwickeln und seine Nische in der überfüllten Halle skandinavischer Krimiautoren zu finden. "Der Choreograph" ist definitiv kein Muss für denjenigen Bücherfreund, dessen primäre Anforderung es ist, gut unterhalten zu werden. Vielmehr ist dieses Werk nur zu empfehlen, wenn es einem ein großes Anliegen ist, das Nesser'sche Opus in Gänze konsumiert zu haben.

Christoph Mahnel 
25.05.2020

 
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Das Buch:

Håkan Nesser: Der Choreograph. Aus dem Schwedischen von Christel Hildebrandt

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Sprecher: Dietmar Bär München: Der Hörverlag 2020 Spielzeit: 328 Min., € 20,00 ISBN: 978-3-8445-3861-8

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