Hörbücher

Die Tochter des Moorkönigs

Helena Pelletier trägt seit anderthalb Jahrzehnten ein düsteres Geheimnis mit sich herum. Ihre Mutter war als 14-jähriges Mädchen von ihrem Vater entführt und geschwängert worden. Vater, Mutter und Helena lebten zusammen in einer Hütte auf der dünn besiedelten Upper Peninsula im US-Bundesstaat Michigan an der Grenze zu Kanada. Die ersten zwölf Jahre ihres Lebens verbrachte Helena somit abseits jeglicher Zivilisation und lernte in dieser Zeit die Gewalttätigkeit ihres Vaters kennen, aber von diesem auch, wie man in der Wildnis überleben kann. Fährtenlesen, jagen, sich im Gemischtwarenladen von Mutter Natur ernähren, dies waren die Fächer, die auf Helenas Stundenplan standen, bis ihr zusammen mit ihrer Mutter die Flucht gelang. Wenig später wurde dann auch ihr Vater gefasst und lebenslang hinter Schloss und Riegel gebracht.

15 Jahre später ist Helena, die sich, um ihre Vergangenheit abzustreifen, eine neue Identität verschafft hat, selbst Mutter von zwei Töchtern. Ihr Ehemann weiß genauso wenig wie die beiden Kinder, welch traumatische Kindheit Helena erleiden musste. Eines Abends fährt Helena mit dem Auto nach Hause, als sie im Radio die Nachricht von einem entflohenen Häftling vernimmt. Helena ist schlagartig klar, um wen es sich trotz der spärlichen Informationen handeln muss, nämlich um ihren Vater. Und Helena weiß auch sofort, dass ihr Vater noch eine Rechnung mit seiner Tochter zu begleichen hat. Helena schaltet in den Kampf-  und Überlebensmodus, der ihr noch gut aus ihrer Kindheit bekannt ist, als sie von ihrem entflohenen Vater auf das menschenfeindliche Terrain im Moor der Upper Peninsula gelockt wird. Ein erbitterter Kampf nimmt seinen Lauf.

Die US-amerikanische Schriftstellerin Karen Dionne hat mit "Die Moortochter" ihren vierten Roman vorgelegt. Inspiriert durch ihre eigene Vergangenheit, da sie nämlich selbst über dreißig Jahre auf der Upper Peninsula gelebt hat, hat sie das vorliegende Katz- und Mausspiel in den Moorlandschaften auf besagter Halbinsel zu Papier gebracht. Parallel zur deutschen Buchausgabe ist beim Hörverlag eine auf knapp neun Stunden gekürzte Hörbuchausgabe erschienen. Als Sprecherin fungiert mit Julia Nachtmann eine deutsche Theaterschauspielerin, die einem breiten Publikum vor allem durch ihre Lesungen der Nele-Neuhaus-Krimis bekannt sein dürfte. Auch in "Die Moortochter" liefert sie wieder eine stimmlich tadellose Leistung ab und schafft es gekonnt, den Hörer zum Mitfiebern zu bringen.

Die Autorin erzählt die Geschichte der Moortochter auf insgesamt zwei zeitlichen Ebenen. Neben der Handlung im Hier und Jetzt ab dem Zeitpunkt des Gefängnisausbruchs von Helenas Vater nehmen die Rückblicke auf Helenas Kindheit im Moor einen großen Raum ein. Zusätzlich werden die Rückblicke in die Vergangenheit stets mit einer längeren Passage aus dem Märchen "Die Tochter des Moorkönigs" von Hans Christian Andersen eingeleitet. Wer sich aufgrund des Klappentextes auf einen Psychothriller in den Sümpfen eingestellt hat, wird sicherlich ein wenig enttäuscht sein, wenn er merkt, dass die Handlung in der Gegenwart im Vergleich zu den Rückblicken in die Vergangenheit einen deutlich kleineren Raum einnimmt. Mehr und mehr gerät man im Laufe der Handlung zu der Überzeugung, dass die Einordnung als Psychothriller vielleicht doch nicht so angebracht gewesen ist, überwiegt doch die chronologisch hin und her springende Erzählung über ein Mädchen, das unter völlig absurden Verhältnissen abseits der Zivilisation zusammen mit ihrer Mutter in einer offenen Gefangenschaft aufgewachsen ist.

Für "Die Moortochter" hat sich Karen Dionne den perfekten Handlungsort ausgesucht. Scheinbar ist die Upper Peninsula als Gegend prädestiniert dafür, dort sowohl einen jahrelangen Überlebenskampf inmitten der Natur als auch ein Duell auf Leben und Tod zwischen Vater und Tochter stattfinden zu lassen. Das Hörbuch ist trotz einiger Längen zwischendurch recht kurzweilig, wenn man einmal akzeptiert hat, dass der Showdown in der Gegenwart immer wieder wie ein Spielfilm bei einem privaten Sender durch ständige und lange Werbeunterbrechungen entzerrt wird. Dann aber wird man auch seinen Gefallen an den Rückblenden finden, da die Autorin dort viele interessante Aspekte zur Persönlichkeitsentwicklung eines heranwachsenden Mädchens im Angesicht ihres brutalen und strengen Vaters thematisiert. Darüber hinaus glänzt Karen Dionne mit ihren sehr eindringlichen Landschaftsbeschreibungen, kein Wunder allerdings, wenn man selbst Jahrzehnte am Ort der Handlung verbracht hat.

Christoph Mahnel
18.12.2017

 
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Das Buch:

Karen Dionne: Die Moortochter. Aus dem Amerikanischen von Andreas Jäger

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Sprecherin: Julia Nachtmann
München: Der Hörverlag 2017
Spielzeit: 520 Min., € 14,99
ISBN: 978-3-8445-2710-0

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