Bildbände

Die Schrecken unserer Welt … und die Freuden

Friedrich F.J. Czernys "Gemälde und Gedichte Band I" verbreiten alles andere als Frühlingsgefühle und Vogelgezwitscher. Im Gegenteil: Sie hinterlassen düstere Bilder. Gebrochene Gliedmaßen, tote Blicke, matschige Hirne, viel, mehr und noch mehr Blut. Ganze Seen voll. Man könnte denken, es sei Kriegsliteratur, wie wir sie von Georg Heym kennen. Aber das ist es nicht. Czerny präsentiert dem Leser und der Leserin soziale Gedichte. Und all die ausgebrannten Rippen und knöchernen Zeigefinger verweisen auf die Katastrophen unserer alltäglichen modernen Welt.

Eindringlich 

Der Autor schafft durch Verse wie "die zerrissene Welt reibt sich blutig / zwischen Gier, Hast und Schmerz" eindringliche Bilderwelten. Herrschen in der Großzahl der Gedichte Düsternis, Zukunftspessimismus und Weltuntergangsstimmung, wird er in einigen deutlicher und prangert offen den Kapitalismus und die allgemeine Konsumwut an. Dabei zeigt er in zahlreichen Mord- und Totschlagsszenarien, wie wir an Seele verlieren, je mehr Geld wir ausgeben. Althergebrachte moralische und christliche Werte zählen nicht mehr. Was kümmert uns Christi Geburt, wenn wir große, bunte Geschenke unter einem reich geschmückten Weihnachtsbaum liegen haben? Wen interessieren schon Nächstenliebe und so etwas Simples und doch Abstraktes wie Menschlichkeit, wenn es um den eigenen Profit geht? Die "Absätze der Macht" sorgen dafür, dass wir still halten, dass wir nicht mal mehr bemerken, wie sich unser Wertgefüge verändert.

Neben den Worten 

Wie der Titel des Werkes schon verrät, stehen in diesem Band nicht nur die Wörter im Vordergrund, sondern auch die Ölgemälde des Künstlers Czerny. In kräftigen Rottönen bildet er Frauen ab, meist in eindeutigen Posen, aber ohne sexuelle Aufgeregtheit oder Empörung. Lady Q, Viki, Donna Carmen ... sie sind sinnliche Frauen, körperbewusste Frauen, die sich dem Betrachter und der Betrachterin hingeben. Die Sexualität der Frauen, von denen stets nur die Gesichter, maximal noch die Brüste zu sehen sind, spielt sich auf einer persönlichen, fast intimen Ebene ab. Ungeachtet dessen, mit welchem Hintergrund sie sich den Blicken präsentieren, sie zeigen ihre Seelen, die mal träumerisch, mal erwartungsvoll, mal hingebungsvoll sind. Fast wie auf einem Foto, schauen sie uns an, sind aber nur halb bei uns, halb in sich versenkt. Selbst der herausfordernde, selbstbewusste Blick von "Michelle My Belle" ist sinnlich. Bemerkenswert ist in dem Zusammenhang auch, dass die Frauen immer nur teilweise dem Licht ausgesetzt sind. Zum Großteil bleiben sie im verhüllenden, fantasieanregenden Schatten.

Zusammenspiel 

Nun stellt sich natürlich die Frage: Was haben die Gedichte über unsere vermeintlich so düstere, nur von den Neonlichtern der Verkaufsräume erhellten Welt mit den roten Frauenportraits zu tun? Verführung und Sünde? Stehen die Frauen wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die schändliche Verführung des Mannes? Nein. Dafür sind sie zu intim, zu unlüstern. Gedichte und Gemälde stoßen sich gegenseitig ab. Pocht dem Leser das Herz während der Lektüre schneller vor Ekel und womöglich Erkenntnisgewinn, beruhigt sich der Betrachter der Bilder indessen. Beschleunigung und Entschleunigung. Vor den Gewaltbildern davonstolpernd, landet man in den intimen, beruhigenden Gemächern dieser Frauen. Also die Frau mit ihrer sinnlichen Güte als Fluchtpunkt unserer Welt? Auch das ginge wohl zu weit. Aber Gedichte und Portraits stehen als Gegenpole in diesem Band, den man nicht zuschlägt, ohne dass er Spuren hinterlässt. In den Bildern versinkt man und vor der Schreckenspoesie möchte man fliehen, aber einen Ausweg gibt es nicht. Sie können das Buch schließen, aber Bilder und Worte bleiben. Und das ist gut so.

Susann Harring
16.09.2013

 
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Das Buch:

Friedrich F.J. Czerny: Suche nach dem Licht - Gemälde und Gedichte. Band 1

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Frankfurt: August von Goethe Literaturverlag 2013
32 S., € 11,80
ISBN: 978-3-8372-1276-1

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