Romane

Eins mit Allem …

...  das sagt sich so leicht, und natürlich ist das auch der Bewusstseinszustand, den nicht nur Anhänger fernöstlicher Philosophien anstreben. Zu gerne würden viele sich vielleicht auch im Alltag philosophischen Diskursen und Forschungen hingeben, um diesem Ziel näherzukommen und den dazugehörigen Kenntnisstand zu erreichen - doch wie so oft im Leben ist es der Alltag, der einen davon abhält: Der Job, unbezahlte Rechnungen, der Hausputz, Termine, und schon ist der Tag rum, und man freut sich, wenn man noch einmal die Füße hochlegen kann und den Tag seicht ausklingen lassen kann. Doch was wäre, wenn man all das nicht hätte? Wenn für alles gesorgt wäre, man finanziell unabhängig wäre und man vor allem eins hätte - Zeit? Marcus Hoenstok van Dijk greift diesen Gedanken auf und spinnt ihn weiter. Er nimmt uns mit auf eine Reise, eine Adelsfamilie über ein paar Jahre zu begleiten, denen es genau so ergeht: Ohne finanzielle
Sorgen oder den Belastungen des normalen Alltags, verbringt die (fiktive) Familie von Rosenberg ihre Zeit in ihrem alten böhmischen Schloss vor allem damit, im Rahmen von regelmäßigen Familientreffen zu erörtern, was das Wesen der Existenz ist. Alle sind hochgebildet und bekleiden ihrerseits (meist universitäre) hoch angesehene Posten der verschiedensten Fakultäten, was für einen fruchtbaren Gedankenaustausch zwischen den unterschiedlichen Wissenschaften sorgt und sich so dem Diskurs ganzheitlich genähert wird. Im Winter am Kamin, im Sommer draußen im Garten, so unterschiedlich die Orte, an denen die Familie zusammensitzt, so unterschiedlich auch die Aspekte und Strömungen ihrer Gedankenexperimente und Diskurse, sich immer weiter einem großen Ziel nähernd: Der Erklärung der menschlichen Existenz, ja der Erklärung einer allumfassenden, alles erklärenden Einheit, die sie „Genialität“ nennen. Dabei vermeiden sie (und damit auch der Autor) bewusst, diesem allumfassenden Geist ein Geschlecht, geschweige denn einen Namen zu geben, denn religiös verklärt ist das Buch nicht, im Gegenteil: Mühelos schafft der Autor das scheinbar Unmögliche, den Spagat zwischen den exakten Wissenschaften auf der einen und einer Spiritualität auf der anderen Seite, die davon ausgeht, dass alles Eins ist und einer höheren Bewusstseinsebene zugrunde liegt. Schwere Kost?

Vielleicht, doch nur von der Tragweite der Gedanken her. Denn, wir erinnern uns, wir haben es nicht mit einem trockenen Sachbuch zu tun: Die Rahmenhandlung erlaubt es dem Leser ganz geschickt und wohlplatziert, Luft zu holen für Denkpausen, und das Gesagte zu verinnerlichen. Denn dort geht es um sehr profane weltliche, gleichzeitig sehr amüsante Geschichten des Adels, die wir doch auch im Alltag so lieben: Adlige Liebschaften, Feste und Bälle am Hofe, tragische und rührende Geschichten in der Familie, also letztlich all das, was auch uns fesselt, wenn wir eine Pause vom Alltag brauchen. So ist es in dem Buch wie in einem befriedigenden, erfüllten Leben: Eins mit allem heißt immer auch, dass existenzielle und philosophische Gedanken und der profane Alltag sich nicht ausschließen, sondern immer auch zwei Seiten derselben Medaille sind …

Kevin Eule-Manns
20.06.2016

 
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Das Buch:

Marcus Hoenstok van Dijk: Ganz und gar betrachtet

Frankfurt: August von Goethe Literaturverlag 2016
294 Seiten, € 19,80
ISBN: 978-3837218237

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