Romane

"Outbreak" für Säulen-Freunde

Oxenford Medical ist ein kleines, pharmazeutisches Unternehmen in der Nähe von Edinburgh. Die Beschreibung des Schauplatzes von Ken Folletts Roman "Eisfieber" erinnert ein wenig an die Eingangsszene im Film "Outbreak": "Es gab vier Sicherheitsstufen, so genannte Bio Safety Levels. In der höchsten, BSL-4, arbeiteten die Wissenschaftler mit Viren, gegen die es keinen Impfschutz und keinerlei Gegenmittel gab, und mussten daher Schutzkleidung tragen, die an die Raumanzüge von Astronauten erinnerte." Der Vergleich zwischen Film und Buch liegt nahe, denn in beidem geht es im Kern um ein tödliches Virus als perfekte biologische Waffe.Folletts Protagonistin Antonia Gallo, genannt Toni, arbeitet als Sicherheitschefin bei Oxenford Medical, war aber zuvor als Kriminalbeamtin tätig. Gut so, denn im Roman brechen vier Gangster im Unternehmen ein und stehlen Proben des Virus Madoba-2, für das die Forscher gerade erfolglos versucht haben, ein Gegenmittel zu entwickeln. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, denn Toni weiß: wenn die Gangster das Virus an ihre Auftraggeber übergeben, werden an irgendeinem öffentlichen Ort hunderte von Menschen sterben.
Wer Ken Follett als Krimiautor bereits kennengelernt hat, weiß mit dieser Information, dass ihn mehrere Stunden (Follett-Bücher sind meistens üppig) spannende Unterhaltung erwarten. Leser aber, die den walisischen Autor erst über „Die Säulen der Erde“ kennen und schätzen gelernt haben, mag diese Information ein wenig ratlos zurücklassen, ob das Buch für sie tatsächlich das richtige ist. Daher sei Folgendes gesagt.

"Eisfieber" versus "Die Säulen der Erde"

Eines der Markenzeichen von "Die Säulen der Erde" ist die psychologisch ausgefeilte Darstellung der so verschiedenen Charaktere. Durch Perspektivwechsel lernt der Leser nicht nur die sympathischen Figuren der Geschichte kennen, sondern erfährt ebenso etliches über das Innenleben der Schurken und Gegenspieler. Das geschieht auch in „Eisfieber“.

Die Figur, die bei Oxenford einbricht und die Sicherheitssysteme umgeht, ist keineswegs einfach „kriminell“. Follett macht deutlich, dass sie sich in einer finanziell auswegslosen Lage befindet und sich von entscheidenden Personen im Stich gelassen fühlt. Auch zeigt sich der unbeabsichtigte Abstieg eines Kleinkriminellen, denn bis die Person mit den anderen Gangstern im Labor steht, weiß sie nichts vom terroristischen Hintergrund des Auftrags. Wer den Coup plant und ausführt, erfährt der Leser übrigens bereits auf den ersten Seiten. Und doch schafft es Follett, durch das Zusammenführen aller Figuren an einem Ort die Spannung bis zuletzt aufrecht zu erhalten.

Die bei den „Säulen der Erde“ geht es auch in „Eisfieber“ (das seinen Titel dem Winterwetter verdankt) hintergründig um die Geschichte einer Familie. Stanley Oxenford, Inhaber von Tonis Firma und ihr heimlicher Schwarm, hat vor wenigen Jahren seine Frau verloren. Seitdem droht die Familie, auseinanderzubrechen. Kein guter Zeitpunkt, um seinen (erwachsenen) Kindern eine neue Frau vorzustellen. Und doch entwickelt sich im Laufe der Geschichte eine Beziehung zwischen ihm und Toni.

Vordergründig immer noch Thriller

Schade ist, dass gegen Ende des Buches die psychologische Innenschau deutlich hinter die Thriller-Handlung zurücktritt. Im Angesicht der dramatischen Umstände rücken alle familiären Probleme in den Hintergrund und lösen sich vielleicht ein wenig zu schnell in Wohlgefallen auf. Statt weiterer Erklärungen folgt ein Sprung um ein Jahr in die Zukunft.

Dennoch: Follett hat mit „Eisfieber“ einen bis zuletzt spannenden und sehr eindrucksvollen Thriller vorgelegt, der - auch bei den Lesern seiner historischen Romane - Anklang finden dürfte. Nicht zuletzt wegen der Aktualität des Themas.

Yvonne Pioch
02.02.2006

 
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Das Buch:

Ken Follett: Eisfieber

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Bergisch Gladbach: Lübbe 2005
462 S., € 22,90
ISBN: 3-7857-2220-6

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