Romane

Zehn – Die Traumturnerin

Als Vierzehnjährige verzauberte Nadia Comaneci nicht nur die gesamte Turnwelt, sondern sorgte für Begeisterungsstürme in der breiten Öffentlichkeit, die sich plötzlich für Frauenturnen interessierte. Es schien, als ob eine sportliche Jahrhunderterscheinung vom Himmel gefallen sei und seine Darbietungen auf der größtmöglichen Bühne zum Besten gegeben habe. Nadia Comaneci war im Juli 1976 beinahe aus dem Nichts zum Star der XXI. Olympischen Sommerspiele der Neuzeit im kanadischen Montreal emporgestiegen; die kleine Turnerin schaffte mit ihrer Darbietung am Stufenbarren noch nie Dagewesenes und war der erste Mensch auf Erden, dem die Traumnote 10,0 beschieden wurde. Selbst den Computeranlagen ging ihre rationale Rechenlogik abhanden. Nach Nadia Comanecis perfekter Kür waren sie nicht imstande, die Note 10,0 aufleuchten zu lassen, stattdessen zeigten die Leuchtdioden das Bild einer 1,00.

Man muss die Begeisterung für Nadia Comaneci im besonderen Lichte der damaligen weltpolitischen und zeitgeschichtlichen Situation sehen. In den Jahren zuvor stellten die sowjetischen Athleten das Nonplusultra im Turnsport dar, scheinbar hochgezüchtete Turner und Turnerinnen schienen unschlagbar und gaben sich auf den Podesten die Klinke in die Hand. Da kam die Riege der blutjungen rumänischen Turnerinnen wie ein Lichtstreif am Horizont daher, um den unliebsamen sowjetischen Seriensiegern die Stirn zu bieten. Dazu tanzte Nadia Comaneci in Perfektion über den Schwebebalken und dominierte auch die übrigen Geräte, so dass sie mit insgesamt fünf Medaillen, davon drei goldenen, hochdekoriert die Heimreise antreten konnte.

Die Französin Lola Lafon hat diese ganz besondere Geschichte der Nadia Comaneci in den Mittelpunkt ihres neuesten Romans gestellt. Die Autorin selbst hatte eine abwechslungsreiche osteuropäische Kindheit erlebt und kann somit bei der Darstellung der Hintergründe des osteuropäischen Sportsystems auf einen persönlichen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Dies hat sie dazu verleitet, in "Die kleine Kommunistin, die niemals lächelte" ihre ganz eigene Version der Nadia Comaneci zu erzählen. Herausgekommen ist dabei eine fiktive Biografie der Nadia Comaneci, in den die Autorin auch ihre frei erfundenen Dialoge mit der Ausnahmeturnerin verarbeitet hat. Dies lässt den Anschein erwecken, als ob Nadia Comaneci beständig der Autorin ihr Feedback zu einzelnen Passagen des Buches zukommen lassen würde.

Im Fokus der Erzählung, die natürlich mit den Ereignissen im Sommer 1976 ihren Anfang nimmt, steht neben der Protagonistin vor allem ihr Trainer Béla Károlyi, der die jungen rumänischen Mädchen gegen alle Widerstände in der rumänischen Führungsebene zu Olympiasiegerinnen drillte. Insbesondere die Darstellung der umstrittenen Methoden nimmt einen nicht unerheblichen Platz in den Dialogen zwischen Autorin und Romanheldin ein. Des Weiteren steht natürlich das Ceausescu-Regime im Blickpunkt des vorliegenden Romans. Wie wurde der Weltöffentlichkeit damals der Erfolg der Rumäninnen präsentiert? Wurden ihre Siege nicht auch mit verkauften rumänischen Kindheiten errungen? Lola Lafon begibt sich auf die Suche nach den wahren Hintergründen.

"Die kleine Kommunistin, die niemals lächelte" ist ein wirklich merkwürdiges Buch. An vielen Stellen glaubt man sich als Leser in einer Sportlerbiografie wiederzufinden, ist aber irritiert ob der wunderbaren Sprache, mit der die Autorin die Ereignisse im Leben der jungen Ausnahmeturnerin zu Papier gebracht hat. Lola Lafon schafft es, den Leser trotz vorangestellter Warnung glauben zu lassen, dass die Autorin sich im klärenden Dialog mit der Protagonistin befindet, um letztlich eine objektive Wahrheit zu Papier zu bringen. Doch weit gefehlt, alles abseits der turnerischen Fakten ist in Lola Lafon selbst entstanden, was einem vor Augen führt, dass durchaus viele verschiedene subjektive Wahrheiten existieren, auch bei derart öffentlichen Personen wie einer Nadia Comaneci.

Lola Lafon führt die Geschichte über Nadia Comanecis zweite Olympische Spiele 1980 in Moskau, bei der die Athletin ihre Karriere mit zwei weiteren Olympiasiegen und insgesamt vier Medaillen krönte, bis hin zu ihrer Flucht ins westliche Ausland im Jahre 1989. Als Leser, der sich wie einst der Fernsehzuschauer 1976 in die Darbietungen des Turnflohs verliebt hat, ist die Reise mit Nadia Comaneci keineswegs zu Ende. Garantiert wird jeder Leser im Internet den Fortgang des Lebenswegs der Nadia Comaneci weiterverfolgen. Dazu hat Lola Lafon die sportlichen Leistungen der rumänischen Turnerin einfach zu schön in Worte gefasst, als dass man nach knapp 300 Seiten das Kapitel Nadia Comaneci im Jahre 1989 zuschlagen könnte.

Christoph Mahnel
13.10.2014

 
Diese Rezension bookmarken:

Das Buch:

Lola Lafon: Die kleine Kommunistin, die niemals lächelte

CMS_IMGTITLE[1]

München: Piper Verlag GmbH 2014
288 S., € 19,99
ISBN 978-3-492-05670-0

Diesen Titel

Logo von Amazon.de: Diesen Titel können Sie über diesen Link bei Amazon bestellen.