Romane

Zafón auf Amerikanisch

Roger Mifflin ist stolzer Besitzer einer New Yorker Buchhandlung namens "Parnassus" und leidenschaftlicher Buchliebhaber. Eines Tages erscheint Aubrey Gilbert, ein junger Werbefachmann, in der antiquarischen Buchhandlung und will Mifflin überreden, Werbung für seinen Laden zu machen. Doch der Bibliophile hält nichts von Werbung, denn gute Bücher  und eine Buchhandlung mit Charme und Flair, in der man stundenlang schmökern und neue Erkenntnisse gewinnen kann, sprächen für sich. Und "Parnassus" ist solch eine Buchhandlung: eine Buchhandlung mit Stammkunden, die die Gespräche mit dem Besitzer, die dunklen Ecken und Regale voller alter Bücher zu schätzen wissen.

Eines Tages passieren jedoch seltsame Dinge zwischen den mit Büchern vollgestopften Regalen der Mifflin'schen Buchhandlung. Das Exemplar von Thomas Carlyles "Oliver Cromwell" scheint an dem einen Tag verschwunden zu sein, und am nächsten ist es wieder da. Zu Mifflins Erstaunen steht dann auch noch eine Suchanzeige in der Zeitung, in der der Koch des Octagon-Hotels genau dieses Buch, das er in der Nähe der Parnassus-Buchhandlung verloren zu haben glaubt, sucht. Der Fall wird noch seltsamer, als Gilbert, der sich inzwischen in Mifflins Assistentin, die hübsche Titania, verliebt hat und deshalb immer häufiger in der Buchhandlung erscheint, nachts auf der Straße überfallen wird. In die seltsamen Vorgänge rund um Mifflins Laden scheint auch noch der benachbarte Apotheker verwickelt zu sein, den Gilbert beim Herumschleichen im Hinterhof der Buchhandlung beobachtet hat.

"Das Haus der vergessenen Bücher" (engl. "The Haunted Bookshop") schrieb der Amerikaner Christopher Morley 1919 als Fortsetzung seines Romans "Parnassus on Wheels" aus dem Jahre 1917. Das Ende und die Folgen des Ersten Weltkriegs werden in Mifflins langen Monologen genauso häufig thematisiert wie die Bedeutung von Büchern für Mensch, Gesellschaft und Politik: "Druckerschwärze und Schießpulver liefern sich seit vielen, vielen Jahren einen Wettkampf. (...) mit Schießpulver kann man einen Menschen in einer halben Sekunde in die Luft jagen, während man mit einem Buch manchmal zwanzig Jahre dafür braucht." Aus der Sicht eines Amerikaners ist es mehr oder mehr weniger zu erwarten gewesen, dass an den "Teutonen", wie sie Mifflin und Gilbert gerne bezeichnen, kein gutes Haar gelassen wird, und dass mit dem Apotheker auch ein Deutschstämmiger in den Kriminalfall rund um Thomas Carlyles Buch verwickelt ist.

Liest man den Klappentext, fühlt man sich als heutiger Leser sofort an die Geschichten des spanischen Erfolgsautors Carlos Ruiz Zafón erinnert: die Liebe zu Büchern, eine Buchhandlung, in der seltsame Dinge vor sich gehen, eine Liebesgeschichte und ein Kriminalfall. All diese Zutaten wurden auch in "Das Haus der vergessenen Bücher" zu einem gelungenen Endprodukt vermischt. Jedoch ist Morleys Roman im frühen 20. Jahrhundert entstanden, Zafóns Bücher hingegen fast ein Jahrhundert später. Abgesehen von der unterschiedlichen Entstehungszeit beschreiben beide Autoren ihre Umgebung, ihr Land und ihre Kultur so atmosphärisch, dass man sich beim Lesen an den Ort des Geschehens versetzt fühlt - bei Morley nach New York und bei Zafón nach Barcelona.

Sabine Mahnel
15.09.2014

 
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Das Buch:

Christopher Morley: Das Haus der vergessenen Bücher. Aus dem Amerikanischen von Renate Orth-Guttmann

Hamburg: Hoffmann und Campe Verlag 2014
255 S., € 18,00
ISBN: 978-3-455-60012-4

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