Romane

Geraubte Gerechtigkeit

Vor dem Anfang: Dreimal das Wort Terrorist! Das erste Mal in der ersten Zeile des Klappentextes zu Christoph Heins neuem Roman "In seiner fr?hen Kindheit ein Garten".

Ein zweites Mal ? und dann zweimal ? das Wort Terrorist auf der R?ckseite des Buchumschlags. Was also ist zu erwarten? Die Geschichte eines Terroristen?

Das Thema des Romans ist nicht der Terrorismus. Weder der globale noch jener, der als "hei?er herbst" ? 1977 ? die bundesdeutsche Geschichte pr?gte. "In seiner fr?hen Kindheit ein Garten" h?tte getrost auch "Der Tr?umer" oder "Die Tr?umer" hei?en k?nnen. Womit der Titel der Eindeutigkeit entsprochen h?tte, die sonst Titel von Hein haben.

Der Schriftsteller erz?hlt nicht von Terroristen und Revolution?ren. Er erz?hlt von Tr?umern und Realisten. Von Tr?umern, die in der real existierenden Rechts-Welt eine Gewalt ausmachen, die f?r sie nur durch radikale Gewalt zu ?berwinden ist. Die Rede ist von Tr?umern, die Rahmen der real existierenden Gesetze solange geduldig leben, solange geduldig leben, solange die Gesetzesgewalt nicht als Gewalt zu sp?ren bekommen.

Tr?umer sind Richard und Oliver. Sind Vater und Sohn. Kriegsteilnehmer des zweiten Weltkriegs der Eine, ist der Andere zum Krieger gegen den Kapitalismus geworden. Richard hat seinen Krieg ?berlebt und seinen Frieden gemacht. Oliver wird zur Strecke gebracht. Mitten im Frieden des vereinten Deutschland, als die Krieger wider das Kapital die gehetzten Hasen des Staates geworden sind. Oliver stirbt zwischen den Schienen eines mecklenburgischen Kleinstadtbahnhofs. ?Ach ja, die Erinnerungen! Die m?ssen nicht sein, um den Roman von Christoph Hein zu lesen, wenn er gelesen wird. ?Sein sollte jedoch die Bereitschaft zu akzeptieren, da? alles Politische auch etwas Pers?nliches ist, das seine Privatheit hat. Mehr und mehr hat der Prosaist seine Neigung perfektioniert, das Politische im Privaten, das Private im Politischen zu erz?hlen. Mit dem zuvor ver?ffentlichen Roman ?Landnahme? hat er der Literatur der Geschichten der Vertriebenen in Deutschland ein beachtliches Erz?hlwerk hinzugef?gt.

"Landnahme" ist eines der Hauptwerke des Christoph Hein. "In seiner fr?hen Kindheit ein Garten" wird nicht aus der Reihe der Nebenwerke heraustreten. Das Politische hat nicht die n?tige Pr?gnanz im Privaten, das Private nicht im Politischen. H?tte sich der Autor strikt auf die Vater-Sohn-Geschichte konzentriert, er h?tte mehr f?r die Pr?gnanz des politischen Romans tun k?nnen.

"In seiner fr?hen Kindheit ein Garten" ist der Roman einer Familie, der nicht des Politischen, ja einer politischen Trag?die entbehrt. Das ist der Wein, in den das Wasser des Unpolitisch-Privaten gesch?ttet wird. Sanft, leise, indiffenrent gar, wie der Anfang ist, k?nnte er Leser dazu bringen, vorzeitig aufzugeben. Wer mit dem 4. Kapitel (Seite 46) beginnt ? "Vor f?nf Jahren war ihr Sohn bei einem Schusswechsel mit Beamten des Grenzschutzes ums Leben gekommen" ? ist mitten im Geschehen. Nichts Wesentliches ist vers?umt, was das Verst?ndnis erschweren k?nnte. Die folgenden Schilderungen summieren die Schwierigkeiten und Schrecken, die Zw?nge und Zweifel, die Bedr?ngen und Bedrohungen denen die Familie Zurek ausgesetzt sind. Die Familie hat sich mit der Tatsache auseinanderzusetzen, da? der Sohn und Bruder als gebrandmarkter Terrorist gestorben ist.

Last und Leiden der Familie erz?hlt Hein manchmal so, da? nur mit schneller schlagendem Herz zu lesen ist. Die Familie trauert um keinen Terroristen. Die Trauer ist die Trauer von Geschwistern, von Eltern, denen das F?rchterlichste widerfuhr: der Tod eines Kindes. Kein doktrin?rer Patriarch, dominiert doch die Figur des Vaters den Roman. F?r den Vater, den gew?hnlichen Staatstreuen, ist die Konfrontation mit der gew?hnlichen Staatsmacht, das erschreckende Erlebnis. Ist nicht der Tod des ?Terroristen?, nicht der Terrorismus das Thema, so ist es die Konfrontation mit der Macht. Richard Zurek, der pensionierte P?dagoge, Prediger der Demokratie f?r Sch?lergenerationen, mu? zugeben:?...wir wissen so wenig ?ber unseren Sohn?, Und der Ex-Gymnasialdirektor stellt fest: ?...ein Staat mu? siegen, m?ge auch die Gerechtigkeit dabei zugrunde gehen?. Das ist einer der erkl?renden, kl?renden S?tze des Romans. Solche S?tze sind nicht selten, wenn ?ber Schutz des Staates und Staatsschutz, Gewalt des Staates und Staatsgewalt nachgedacht wir. Die Zureks haben genug Gr?nde, wieder und wieder ?ber ihren Glauben an die Gerechtigkeit nachzudenken. Sie f?hlen sich verpflichtet, die Gerechtigkeit zu vertreten und zu verteidigen. Jene Gerechtigkeit, die Tr?umer, Terroristen und Gesellschaft gleicherma?en verachten, verletzten  und verraten.

"In seiner fr?hen Kindheit ein Garten" ist ein Roman, in dem Szenen der fortgesetzten, folgenreichen Gef?hrdung der Gerechtigkeit erz?hlt werden. Derartiges kommt jedem bekannt vor, der die B?cher von Christoph Hein liest. Seine Literatur ist voll der Geschichten gebrochener wie gewonnener Gerechtigkeit. F?r Gerechtigkeit einzutreten bedeutet f?r den Schriftsteller, einen moralischen Anspruch zu haben. Christoph Hein ist ein Moralist. Immer. Mit allem Ernst. Unnachgiebig. Nicht zu bestechen. Auch nicht durch sich selbst. Den novellistischen Stoff erkennend, hat er dennoch aus ihm den Roman ?In seiner fr?hen Kindheit ein Garten? gemacht. Der kann, allen Abschweifungen zum Trotz, zum Leseereignis eines Tages werden. Wird das so, spricht das wahrlich nicht gegen das Buch.

Bernd Heimberger
13.09.2005

 
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Das Buch:

Christoph Hein: In seiner frühen Kindheit ein Garten

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Frankfurt/M.: Suhrkamp 2005
272 S., € 17,90
ISBN: 3-51841-667-7

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