Romane

Einem Schloss das Leben eingehaucht

Hans-Dieter Fretz hat mit "Hühne von Wolletz ... eine Familie" eine spezielle Art von Roman veröffentlicht. Wer den Einband betrachtet, sieht die Silhouette eines Schlosses, wie geschaffen für einen Familienroman - nur: Das Schloss existiert tatsächlich, die Open-Airs locken immer wieder an diesen Ort im Berner Oberland. Es handelt sich um Hilterfingen, wo das Schloss in Wirklichkeit "Hünegg" heißt, benannt nach Hünengräbern, die man dort gefunden hatte. Wer den Realitäten nachgehen will, stößt bald einmal auf einen preussischen Offizier und Baron, der seinerzeit das Schloss errichten ließ.

Aber ein Roman will nicht Realitäten ausbreiten, er will eine Geschichte erzählen. Und das leistet Hans-Dieter Fretz ohne Zweifel. Schon prasselt heftiger Regen an die hohen Fenster des Schlosses. Schon steckt man mitten in dieser Geschichte, die eine Familie begleiten lässt. Mit ihr erlebt man den stattlichen Wohnsitz über dem Thunersee, mit Blick in die herrliche Bergsilhouette jener Gegend. 

Doch es nähert sich der Erste Weltkrieg, der so manches umstürzt und ganze Biografien umlenkt. Der Baron zieht nach Deutschland und bleibt dort. Aber die Spuren führen einiges später nach Hilterfingen zurück. Europäische Geschichte verbindet sich mit dem Schicksal einer Familie. 

Dies alles schildert Hans-Dieter Fretz in überaus plastischer Art und Weise; man geht die schicksalsreiche Reise als neugieriger Leser mit und erfährt handfest und überzeugend ein Stück aus dem Leben jener Jahrzehnte. Damit erhält das Schloss, das vor allem vielen Schweizern ein Begriff ist, eine neue Dimension. Fretz hat diesem stolzen Bauwerk, das an Neuschwanstein des bayerischen Königs Ludwig II. erinnert, Leben eingehaucht. Das war auch für die Schweizer, denen Schlösser nur höchst selten etwas Vertrautes bedeuten, auch nötig. 

Das ist zweifellos eine respektable Leistung, die mit dem Eintauchen in eine lange Geschichte verbunden war. Es gehörte schon sehr viel Forscherdrang und auch Vorstellungskraft dazu, dieses "Historienbild" zu malen und es vor den Augen interessierter Leser auferstehen zu lassen. Man kann sich diesem Roman auch kaum entziehen, zu stark sind die Bilder vom jeweiligen Hier und Jetzt. Und gerade das macht die eigentliche Stärke des vorliegenden Werkes aus. 

Der Roman will unterhalten und entführen - und das gelingt ihm auch. Dass die Geschichte zwischen Deutschland und der Schweiz hin- und herpendelt, macht sie noch interessanter. Unweit des Schlosses Hünegg, auf einer Insel der Stadt Thun, hatte ja Heinrich von Kleist gelebt und gewirkt. In dieser eher provinziell vor sich her träumenden Stadt wirkten solche Gäste wohl umso geheimnisvoller, exotischer. 

Ronald Roggen 
18.03.2013

 
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Das Buch:

Hans-Dieter Fretz: Hühne von Wolletz ... eine Familie

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Frankfurt am Main: August von Goethe Literaturverlag 2012
228 S., € 19,80
ISBN: 978-3-8372-1152-8

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