Romane

Der Fänger im Café

Holden Coldfield ist ein Zyniker. F?r ihn teilt sich die Menschheit in weinerliche Loser und arrogante Holzk?pfe ? Letztere meist in Handybesitz. Das gut besuchte Caf? Atlantis inmitten der Fu?g?ngerzone w?hlt er als Ort, um ungest?rt sein "Projekt Atlantis" verwirklichen zu k?nnen: "die Demaskierung des viel zu oft zu Unrecht glorifizierten Menschen" (S. 195). Er will uns zeigen, wie hohl, unwichtig, aber selbst?berzogen die meisten Mitmenschen sind, egal in welcher Ver-Kleidung sie auftreten. Im Gegensatz zu J. D. Salingers Holden Caulfield aus "The Catcher in the Rye" hat Kleinhanns? Protagonist die Klippe adoleszenztypischer Verzweiflung an der Welt hinter sich gebracht und tritt nun, fast schon selbstbewusst, vor sein Publikum, die Leser.

Holden Coldfield l?mmelt einen ganzen Kaffeehaustag m??igg?ngerisch auf seinem Platz herum und beobachtet die mehr oder weniger skurrilen Gestalten des steten Publikumsverkehrs, um sie f?r sein Buch "einzufangen" (S. 63), z. B. eine k?rper- und seelengepiercte Sexualexperimentalistin, einen Elvisimitator, dessen gr??te Darbietung in st?ndigem elvisschen "Yeah" besteht, fitnessbesessene M?chtegernyuppies ("Verstand light", S. 57), engstirnige, aber weitschweifige, bei jeder Gelegenheit sitzblockadezelebrierende Universaldemonstranten, gr?lende Fu?ballfans ("tiefste Kreisliga unter den Zuschauern", S. 150) sowie coole Girls mit uncool balzenden Boys im Schlepptau. Weiterhin trifft Holden Coldfield im Caf? labernde Schriftstellerkollegen, Aliens sehende Neurotiker, eine volltrunkene Vollblutkarrierefrau, eine nymphomane Kellnerin, die ihn in eine Abstellkammer lockt, und schlie?lich auf Gott und den Teufel als Trugbild im Doppelpack und die Personifikation seiner ambivalenten Weltsicht, die sich aus Negativismus und diffusen, teilweise erstaunlich konservativen Moralvorstellungen speist. Dass am Schluss dann noch der menschen-, tod- und teufelverachtende Antiheld zum Helden mutiert, indem er sich einem bewaffneten R?uber entgegenstellt, wirkt dagegen eher wie eine Persiflage auf am Schluss immer h?hepunktende Werke des Genres.

Viel Spott und Hohn ergie?t sich in Kleinhanns? Buch ?ber die Besucher des Caf?s Atlantis, dabei nimmt sich der Protagonist durchaus selbst nicht aus und ?u?ert hin und wieder, meist ironisch verpackt, Selbstzweifel, ?bt gar Selbstkritik, z. B., wenn den Teufel ihm vorwirft, selbst "mittelm??ig", ja "schlecht" zu sein (S. 221ff.). ?berhaupt steckt da eine ganze Menge Unsicherheit, Verwirrung und Sehnsucht respektive M?nnerfantasie zwischen den Zeilen der meist heftig austeilenden, von "infantiler Zerst?rungswut" (S. 147) besessenen Rundumschl?ge. Als "kritisches Portrait ?ber die gesellschaftsbildenden Charaktere des 21. Jahrhunderts" (S. 2 unten) wird das Werk von BoD angepriesen, beim Lesen r?ckt indes immer wieder der genervte Protagonist selbst in den Fokus der kritischen Betrachtung, weniger die ?berzeichneten, als einf?ltig und fremdbesetzt diffamierten, meist wohl eher als armselig zu bezeichnenden Randgestalten der Gesellschaft, die der Autor da "eingefangenen" hat. Auch m?ssen viele seiner lebensphilosophischen ?u?erungen als medioker, ja banal bezeichnet werden: "Die Kunst jedoch bestand darin, nicht einfach liegen zu bleiben und rumzuheulen, sondern wieder aufzustehen ..." (S. 121) Nihilismus ist das nicht! Fast k?nnte man sagen, dass die ?berm??ige Verwendung des Stilmittels Ironie hier nach hinten losgegangen ist und den Autor selbst getroffen hat.

Auch kann seine Sprache, die der Halbw?chsigenidiomatik des Salinger?schen Caulfield noch recht nah ist, der caf?internen soziologischen Recherche nicht gerecht werden, und die manieristische Betitelung der meisten Kapitel mit Figuren der griechischen Antike kann sich hier ?berhaupt nicht einf?gen, ist auch trotz gro?er Anstrengung einfach nicht ironisch. Doch abgesehen von zahlreichen Fehlern l?sst sich das Buch recht flott lesen, vieles ist witzig beschrieben, und in so manchen der beschriebenen Gestalten sind gewisse Prototypen unserer nicht gerade durch h?chstes Niveau gl?nzenden Gesellschaft durchaus erkennbar.

dgk
01.07.2003

 
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Das Buch:

Heiko Kleinhanns: Café Atlantis

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Norderstedt: BoD 2002
251 S., € 13,50
ISBN: 3-8311-4244-0

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