Romane

A la vida – auf das Leben!

Ganz so lebensfroh-optimistisch kommt der neue Roman von Doris D?rrie Das blaue Kleid zun?chst ganz und gar nicht daher. Im Gegenteil: wir bekommen eine eher melancholische Geschichte erz?hlt von zwei Menschen, f?r die das Leben nach dem Tod ihres jeweiligen Partners scheinbar nichts mehr zu bieten hat.

Babette, die r?ckblickend jeder Phase ihres Lebens ein Kleidungsst?ck zuordnen k?nnte, hat durch einen tragischen Unfall w?hrend eines Urlaubs auf Bali ihren Mann Fritz verloren und kleidet sich fortan nur noch in Schwarz. Diese traditionelle Farbe der Trauer dr?ckt nun ihr ganz pers?nliches Lebensgef?hl aus: Sie versucht sich unter den Kleidern zu verstecken, m?chte sich am liebsten unsichtbar machen, denn sie f?hlt sich selbst wie ein schwarzes Loch in ihrem eigenen Leben. Da trifft sie durch Zufall Thomas, zun?chst f?r sie nur ein Jogger, der ihr jeden Morgen am Friedhof begegnet, monatelang. Bis er eines Tages am ?bergang vom Winter zum Fr?hling, an seinem ganz pers?nlichen Scheideweg, beim Zusammentreffen mit Babette ausrutscht, weil sein K?rper, wie es f?r Babette aussieht, sich nicht entscheiden kann, wo er hin will. Auch Thomas ist allein, allerdings nach einer gescheiterten Ehe, auch er f?rchtet sich vor einem neuen Leben, einer neuen Bindung. Trotzdem kann er in Babette Gef?hle wecken, die sie dazu veranlassen, sich in einer kleinen Boutique ein elegantes blaues Organzakleid zu kaufen.

"Dieses Kleid wird ihr Leben ver?ndern!", meint der eine der beiden, offensichtlich schwulen Verk?ufer denn auch zu Babette. Alfred hei?t er, und verkauft mit diesen Worten und einer unvergleichlichen Begeisterung, die sein Freund Florian an ihm so liebt und bewundert, ihre letzte gemeinsame Kreation an diese unscheinbare, etwas traurig wirkende Frau. Alfred leidet an Krebs und stirbt bald darauf trotz monatelanger hingebungsvoller Pflege durch Florian in dessen Armen. Und auch Florians Leben ver?ndert das blaue Kleid, denn er m?chte es, nachdem er die ersten Wochen der heftigsten Trauer hinter sich hat, von Babette zur?ck haben um eine Ged?chtnismodenschau f?r Alfred zu veranstalten. Aus diesem Defilee wird zwar nichts, daf?r finden sich aber Babette und Florian, teilen ihren Kummer, ihre Erinnerungen und ihre schwachen Hoffnungen f?r die Zukunft.

Vor allem aber reisen sie gemeinsam nach Oaxaca in Mexiko, zum Tag der Toten an Allerheiligen, wo sie einen letzten Versuch wagen, sich von den Geistern ihrer geliebten Toten zu trennen. Bunt, laut und mit einer manchmal verzweifelten Fr?hlichkeit geht es dort in der ganzen Stadt und auf den Friedh?fen zu. Babette und Florian sind fasziniert und ?berfordert zugleich von der fremden Mentalit?t, werden hineingerissen in einen Strudel, tauchen aber jeder f?r sich mit ein wenig mehr Hoffnung auf ein neues Leben wieder auf.

Diese zu weiten Teilen sehr ruhige Geschichte wird nicht so geradlinig erz?hlt, wie es hier erscheinen mag. Abwechselnd blicken Babette und Florian zur?ck, berichten sich gegenseitig von den Menschen, die sie liebten und verloren, von den kleinen allt?glichen Begebenheiten, die ihr Leben ausmachten und die sie sich wieder herbei sehnen. Sehr einf?hlsam schildert Doris D?rrie ihre allt?gliche Trag?die, erz?hlt vom vermeintlich sicheren Gl?ck, in das Tod, Trauer und Hoffnungslosigkeit so unerwartet einbrechen. Mit echtem Verst?ndnis und Sympathie bringt sie ganz grundlegende Fragen zur Sprache: Warum trifft es gerade uns? Wie kann es jetzt noch weitergehen? Wie gehe ich richtig um mit meiner Trauer, meinen ?ngsten und der Trauer und den ?ngsten des anderen. Wie kommt es, dass zwei Menschen sich treffen, gerade zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort, dass gerade diese beiden sich verstehen oder lieben?

Trotz des eher melancholischen Grundtons wird die Geschichte nie pessimistisch oder gar langweilig. Doris D?rrie erz?hlt mit einer ruhigen, klaren Sprache, aufgelockert durch kleine liebevolle Details am Rande, durch oft sehr treffend originelle Vergleiche. Die Symbolik der Kleidung oder der Jahreszeiten f?r innere Stimmungen oder dramatische H?hepunkte ist nicht ganz neu, wird aber immer wieder ironisch gebrochen, wenn z.B. Babette sich selbst am?siert mit einer aufbrechenden Knospe vergleicht.

Die Personen sind sympathisch unvollkommen, Menschen mit Ecken und Kanten, voller Widerspr?che, aber auch f?hig zur Entwicklung. Wie bunte Farbtupfer wirken die geschilderten Reisen: Babettes und Fritz? letzte gemeinsame Reise nach Bali, wo Fritz stirbt und ? auch hier der ganz fremde Umgang mit dem Tod ? bunt, laut und unter der Teilnahme vieler Menschen auf dem Meer bestattet wird. Genauso Babettes und Florians gemeinsame Reise nach Mexiko, wo ebenfalls lautstark, farbenfroh, oft kitschig eine ganz andere Kultur des Todes die beiden umf?ngt und letztendlich tats?chlich tr?stet. Gerade diese H?hepunkte stehen fast bildhaft vor dem Leser, die bunte Exotik fasziniert und fesselt und vermittelt auch dem Leser die Wahrheit hinter Babettes und Thomas? Trinkspruch "A la vida".

Trotz der eher ernsten Themen erz?hlt Frau D?rrie eine sehr sch?ne, optimistische Geschichte und so ist man versucht, das Buch erst aus der Hand zu legen, wenn man wei?, wie denn nun alles f?r Babette und Florian ausgegangen ist.

mls
01.09.2002

 
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Das Buch:

Doris Dörrie: Das blaue Kleid

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Zürich: Diogenes Verlag 2002
177 S., € 8,90
ISBN: 3-257-86085-4

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