Romane

Von der Kraft der Worte

Literarische Worte haben das Vermögen, durch grausame Zeiten hinweg zu helfen - sind sie doch ein Ausdruck geheimer Wünsche, an denen man sich für diesen Moment festhält, um sie sich dann später erfüllen zu können. Man muss einfach nur stark genug daran glauben. Von diesem Phänomen erzählt Peter Manseau in seinem Debütroman "Bibliothek der unerfüllten Träume", der in Fachkreisen einschlug wie eine Bombe - so erhielt er nach dem "National Jewish Book Award" und der "Sophie Brady Medal for Outstanding Achievement in Jewish Literature" kürzlich auch den "Harold U. Ribalow Prize" - und dies vollkommen zu Recht, wie der Rezipient beim Lesen des vorliegenden Buches feststellen wird.

Im Mittelpunkt steht die Lebensgeschichte des jüdischen Dichters Itsik Malpesch, der als Sohn eines Gänsedaunenfabrikverwalters harte Arbeit gewöhnt ist, aber immer seinen Träumen hinterherjagt. Bereits seine Geburt ist eine einzige unfassbare Begebenheit: Zu diesem Zeitpunkt brechen in Itsiks russischer Heimatstadt Kischinjow Pogrome aus, vor denen sich niemand schützen kann. Die Juden werden brutal zusammengeschlagen, wobei auch vor Mord nicht zurückgeschreckt wird. Eben zu jenem Zeitpunkt ist der Metzger Bimko mit seiner vierjährigen Tochter Sascha auf den Straßen Kischinjows unterwegs und wird angegriffen. Um seine Tochter zu schützen, bringt er sie zu Familie Malpesch. Dort sei sie sicher und brauche nicht um ihr Leben zu fürchten - so zumindest die Vorstellung Bimkos.

Es soll sich jedoch bald zeigen, dass Bimko nicht Recht behält, denn Pogromisten dringen in das Haus der Familie Malpesch ein und stürzen sich anfangs auf den Vater und dessen älteste Tochter. Als sie jedoch eine Etage höher gehen, erleben die Eindringlinge dort das Wunder der Geburt. Bei Minah Malpesch setzen zeitgleich mit dem Ausbruch der Auseinandersetzungen die Wehen ein - es kann also nicht mehr lange dauern, bis Itsik das Licht der Welt erblickt. Erschreckt durch diesen Umstand und das rebellische Auftreten Saschas lassen sich die "Störenfriede" tatsächlich davon abbringen, die anwesenden Frauen anzugreifen. So wurde Itsik jedenfalls die Geschichte seiner außergewöhnlichen Geburt erzählt und dieses Wissen trägt er fortan mit sich.

Einen Einschnitt in seinem Leben erfährt Itsik, als er im Alter von elf Jahren Chaim kennenlernt. Dieser zeigt seinem Freund, dass Literatur nicht nur Wissen mitteilt, sondern sich durch eine einzigartige Ausdruckskraft der Gefühle auszeichnet, die auch Itsik nicht mehr loslässt. Insbesondere Fjodor Dostojewskis "Schuld und Sühne" prägt fortan Itsiks Handeln und Denken. Dieser Roman ist so viel anders geschrieben als die vielen Bücher in jiddischer Sprache, die sich einzig um die erlittenen Leiden des jüdischen Volkes drehen. Dass Worte allerdings nicht nur eine Geschichte erzählen, sondern auch Lügen verbreiten können, muss Itsik kurze Zeit später erfahren: Der Arbeitsgeber von Itsiks Vater plant, einen Hetzartikel gegen seinen Verwalter zu schreiben, der nicht nur seinen Mitarbeiter, sondern alle Juden als hinterhältig erscheinen lässt. Um seinen Vater zu schützen, bricht Itsik in das Büro ein, um heillose Verwüstung zu stiften. Nie im Leben hätte er damit gerechnet, dass er den Besitzer der Gänsedaunenfabrik, der die Lüge verbreitet, dass Itsik ihn umbringen will, persönlich antrifft. Doch statt des Jungen wird sein Vater kurz darauf festgenommen. Und erneut steht Itsik vor einem Neuanfang.

Der Junge soll bei der Witwe Bimko und ihrer Tochter Sascha in Odessa Unterschlupf finden, bis sich die größte Aufregung wieder gelegt hat. Nach einer mühevollen Reise gelangt er auch tatsächlich dorthin, trifft allerdings nur eine verwirrte Witwe - ohne Sascha - an. Sascha tritt nämlich in Jerusalem für die Rechte der Juden ein. So beginnt für den älter werdenden Itsik eine Zeit der unerwiderten Liebe, denn, obwohl er Sascha nie persönlich begegnet ist, entbrennt er doch leidenschaftlich für diese Frau, der er seine sämtlichen Gedichte widmet. Aber vielleicht kehrt sie ja eines Tages zurück in ihre Heimat und Itsiks Wunschträume werden endlich wahr?! Doch zuvor führt ihn seine Reise nach Amerika, das Land der Träume, wo er später einmal als berühmter Autor seinen Lebensunterhalt verdienen möchte. Aber bis dahin ist es noch ein langer, beschwerlicher Weg.

Peter Manseau schrieb bislang drei Sachbücher und einen autobiographischen Erfahrungsbericht, bis er sich seinem Debütroman "Bibliothek der unerfüllten Träume" widmete. Dem Autor gelingt es, mit einer beispiellosen Sprachgewandtheit das Leben eines außergewöhnlichen Mannes zu beschreiben und den Leser dabei als Begleiter erscheinen zu lassen. Das Buch ist wie Poesie, deren Melodie mal lieblich-sanft, mal tosend-aufbrausend, mal melancholisch-berührend über den Seiten schwebt. Dabei lockt der Text sowohl die gute als auch die schlechte Seite des Menschen hervor, wenn mit dem Protagonisten mitgefühlt, aber auch über manches Handeln entnervt der Kopf geschüttelt wird. Und aus genau diesem Grunde wird das Buch auch von seinen Lesern verschlungen werden.

Susann Fleischer
12.10.2009

 
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Das Buch:

Peter Manseau: Bibliothek der unerfüllten Träume. Aus dem Amerikanischen von Kathrin Razum

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Hamburg: Hoffmann und Campe Verlag 2009
448 S., € 23,00
ISBN: 978-3-455-40200-1

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