Romane

Hommage an Herkunft

Wieder ein Buch, das aus dem Berg der Bücher hervorragt! "Der karibische Dämon", der erste Roman des dunkelhäutigen Kanadiers David Chariandy, ist ein durch und durch literarischer Roman. Er ist originell in den Geschichten seiner Geschichte. Er ist originell in seinen Gedanken. Er ist originell im Sprachlichen. Das ist so von der ersten bis zur letzten Seite. Chariandy, Jahrgang 1969, hat viel Zeit gebraucht, um den Roman zu schreiben, der zeitlos ist.

"Der karibische Dämon" verlängert die Linie der Literatur des magischen Realismus, die von den großen lateinamerikanischen Autoren gezogen wurde. Im Roman werden sinnhaft-symbolische Mythen von Völkern und Kulturen belebt, die die so genannte Zivilisation lange verachtete. Nicht übersetzt lautet der Originaltitel des Buches "Soucouyant" und weist auf eine mythische Gestalt der karibischen Folklore hin. Eine Soucouyant ist ein weiblicher Vampir. Ein böser Geist, wie es heißt, der die Hauptpersonen des Romans in gemeinsamen Erinnerungen verbindet und vereint. Vielmehr Bindendes und Einendes gibt es für Mutter und Sohn kaum. Ihre Beziehung ist von besonderer Eigenart. Spröde und schön. "Der karibische Roman" kann als eine gewöhnliche Mutter-Sohn-Geschichte gelesen werden, die außergewöhnlich ist. Das nicht nur, weil der Sohn zum unwilligen, unfreiwilligen Pfleger der Mutter geworden ist. Schlicht gesagt, ist die Beziehung der Beiden die einer helfend-hilflosen Betreuung einer dementen Person, die die Nachbarn längst als Verrückte abgetan haben. So schlicht ist der Roman nie und in nichts.

Die Wiederbegegnung mit der Verwirrten erleichtert dem irrenden Sohn die Selbstbegegnung. Der als Ich-Erzähler fungierende Sohn tut sich schwer mit seiner Sinnsuche. Die Erinnerungsblitze der Dahindämmernden erhellen die Biographie der Familie karibisch-asiatischer Herkunft. Ein Satz kehrt in das Gedächtnis des Sohnes zurück, den ihm eine Bibliothekarin mitgegeben hat: "Deine Geschichte ist ein lebendes Buch". Desto mehr die Leser von dem lebenden Buch erfahren, desto reger wird der Roman. Die Geschichte der farbigen Einwanderer reicht zurück in die Tage des zweiten Weltkriegs und die des alltäglichen Rassismus, wie er noch in den sechziger Jahren des Vorjahrhunderts in Nordamerika üblich war. Unvorstellbar, fast! Es ist eine reale, historisch gewordene Wirklichkeit. Sie bestimmt die bescheidene Existenz der Familie ebenso wie die fast verloren geglaubte Welt der Herkunft.

Die Kontraste, die sich aus dem Gestern und Heute, den Mythen und der Realität ergeben, machen den Roman so inhaltsreich wie farbig. Gedanken stoßen Geschichten an, Geschichten Gedanken. Gedanken haben die passenden Geschichten. Geschichten die passenden Gedanken. So wird die Substanz des Buches ständig gestärkt. Die Substanz ist in der einprägsamen Darstellung der ursprünglich-existenziellen Dinge der Welt. Das Ursprünglich-Existenzielle, das Mythische ist das Material des phantasievollen Erzählers, das den phantastischen Roman zur literarischen Lektüre macht. Das Buch ist bildreich und schnell wie ein Film schnell-wechselnder Sequenzen. Spürbar ist: Der Schriftsteller, der da schreibt, ist ein Filmfan.

David Chariandy hat ein melancholisches bis optimistisches Dreh-Buch inszeniert, das voller dramaturgischer Effekte ist, die er als Epiker geschickt miteinander verbindet. "Der karibische Dämon" ist eine humane, poetische Hommage an Herkunft und Heimat. Erzählt am Beispiel einer beispielhaften Mutter-Sohn-Beziehung, wie sie ohnehin in der Literatur selten ist. David Chariandy ist Seltenes gelungen. Menschlich, literarisch.

Bernd Heimberger
16.03.2009

 
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Das Buch:

David Chariandy: Der karibische Dämon. Aus dem Englischen von Melanie Walz

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Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2009
206 S., € 16,80
ISBN 978-3-518-42065-2

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