Romane

"Düstere , finstere Zeiten - Tenebrae!"

Géza Rutter befindet sich im Herbst seines Lebens und sucht noch immer das seelische Gleichgewicht. Ordnung schaffen will er, um sein Dasein in die rechten Bahnen lenken zu können. Bevor sein letztes Lebenskapitel geschlossen wird, möchte er die ersten Kapitel öffnen, dem Leser zeigen, was für ein Leben er geschenkt bekommen hat, wie er es gelebt hat und was davon ihm in Erinnerung geblieben ist und warum. Er will weder verurteilen noch anmaßend sein, sondern einfach erzählen von dem, was er erlebt hat.

Der Roman ist ein familienbiografisches Zeitzeugnis. Er erzählt die Geschichte einer zum größten Teil jüdischstämmigen Familie im ungarischen Altofen ab 1941. Unmittelbar zuvor konnten in Ungarn noch Serben, Kroaten, Slowaken, Juden und Christen etc. in Einklang leben, doch mit Beginn dieser Kindheitserinnerungen beginnt auch die Diskriminierung, die im Roman deutlich wird, mit all seinen schmerzlichen Erinnerungen und Erfahrungen. Der Sohn erzählt die Geschichte seiner Familie, wobei der Vater im Mittelpunkt steht, gefolgt von der Mutter und anderen, immer wiederkehrenden Verwandten.

Deutlich wird, dass die Kinder von den politischen Veränderungen ferngehalten werden. Sie sollen und dürfen nichts erfahren. Doch die düstere Stimmung der häufigen Diskussionen bleibt auch den Jüngsten nicht verborgen. Die heile Fassade beginnt zu bröckeln. Die Kinder beginnen zu lauschen, auch wenn das Gehörte zu Anfang ihren Verstand nicht erreicht. Noch schlimmer als dieser Ausschluss von den Erwachsenen ist die Art der Erziehung, die bei den Kindern Hemmungen erzeugt, sie getadelt zurücklässt, immer mit der Beichte im Nacken. Unverständnis und Verbote prägen die Erziehung. Sie kämpfen um Anerkennung, und es wird deutlich, wie sie ihnen entgegengebrachtes Vertrauen wie ein Schwamm aufsaugen. Und dennoch hat man beim Lesen das Gefühl eine liebevolle Familie anzutreffen. Und doch ist und bleibt es düster und finster im Herzen. Und so fügt sich jeder in sein Schicksal, welches ihm vorbestimmt ist, und der Leser wird mitgenommen auf diese Reise.

Der Roman erzählt keine Geschichte mit sich steigernder Handlung, einem Höhepunkt und ausklingendem Ende. Nein. Es plätschert beim Lesen seicht dahin. Zeitweilig fühlt man sich als würde man hinter einem Türspalt lauschen. Dann wieder glaubt man einen typischen Film aus diesen Zeiten zu sehen. Es ist eine Geschichte von vielen, die durch die persönliche Note dieser Familie einzigartig wird, obwohl sie so etlichen Menschen widerfahren ist. Géza Rutter hat seine Kinderstimme sprechen und erzählen lassen, was der Geschichte ein aktives Bild verliehen hat, sie vor dem geistigen Auge sichtbar gemacht hat. Man spürt, dass es ihm ein Bedürfnis war, seine Geschichte zu erzählen. Ohne Dramatik. Überhaupt bedient er sich keiner bestsellerartigen Metaphern, stilistischen Rafinessen etc. Er erzählt einfach nur sein Leben, von einem Moment an, der für ihn entscheidend war, weil verändernd. Wenn man dem Tode näher ist als dem Leben und die Abende kürzer werden, dann kommt Wehmut auf und das Bedürfnis, alles vergessen zu können und es doch nicht ungeschehen haben zu wollen. Der Nachwelt etwas hinterlassen und selbst damit abschließen können.

Tanja Küsters
12.01.2009

 
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Das Buch:

Géza Rutter: Tenebrae

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Frankfurt am Main: August von Goethe Literaturverlag 2008
322 S. € 17,40
ISBN: 978-3-8372-0248-9

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