Romane

Literatur, die Begierde(n) weckt

Sie ist Ende fünfzig, Literaturprofessorin an einem kleinen College an der US-Ostküste und beliebt bei ihren Studentinnen. Seit dreißig Jahren ist sie mit John verheiratet, der am selben College unterrichtet. Sie war immer stolz darauf, mit John eine offene Beziehung zu führen, intellektuell, finanziell und emotional unabhängig zu sein. Als John jedoch seine Suspendierung fürchten muss, weil eine der vielen Studentinnen, mit denen er im Laufe der Jahre eine Affäre hatte, ein Verfahren gegen ihn angestrengt hat, gerät das Wertesystem der Ich-Erzählerin ins Wanken. Der Skandal, der sich um Johns Affären entwickelt, wird auch für die Protagonistin schwierig: Ihre Studentinnen und ihre Tochter fordern sie auf, sich zu trennen, die Fakultät möchte sie beurlauben.

Zunächst denkt sie, dass sie außen vor gelassen werden kann, denn in ihrer Beziehung ist alles abgesprochen. Das äußere Umfeld, besonders die jungen weiblichen Studentinnen reagieren darauf empfindlich. Denn in dem sie sich raushält, wirkt es so, als würde sie Johns Verhalten akzeptieren. Die Protagonistin sieht sich selbst als unabhängig, mit eigener Meinung und für eine freie Beziehung. In dieser Situation trifft sie Vladimir Vladinski - ein 20 Jahre jüngerer Kollege, verheiratet und Familienvater, außerdem gefeierter Romanautor - und entwickelt für ihn eine folgenschwere Obsession. Zumal ihre Ehe offenbar am Boden liegt. Haben sie und Vladimir eine Chance? Oder ist John ihre Zukunft? Die Protagonistin steckt in einem Zweispalt, ohne die Möglichkeit eines Auswegs ...

Lesegenuss pur zwischen zwei Buchdeckeln - genau den erfährt man mit den Geschichten einer Julia May Jonas. Was die US-Amerikanerin schreibt, macht den Leser ganz schwindelig und trifft in mitten ins Herz. Mehr Emotionen als in "Vladimir" findet man nur in wenigen anderen Büchern, wie zum Beispiel bei Camille Laurens oder Delphine de Vigan. Jonas' ist ein Autorentalent ohnegleichen. Ihr Können: einfach zum Niederknien! Ob diesem bleibt kein Auge lange trocken. Auch weil Jonas ganz großes, geradezu betörendstes Gefühlskino verfasst. Was man hier in die Hände kriegt, ist Literatur der besonders berauschenden Sorte. Davon wird einem regelrecht high. Und die Lesestunden fliegen nur so dahin, vergehen definitiv und ohne jeden Zweifel viel, viel zu schnell!

Wie grausam und schmerzhaft, zugleich aber auch wunderschön Liebe sein kann, davon erzählt Julia May Jonas in "Vladimir". Diese Lektüre kommt einer Verführung für alle Sinne gleich. Man verliert sich vollkommen in der Story, in den geschilderten Emotionen und leidet mit der Protagonistin unmittelbar mit. Für 352 Buchseiten lang ist sie die beste Freundin im Leben der Rezipientin. Sie am Ende gehen lassen zu müssen, fällt einem schwer; so schwer, dass man wieder von vorne beginnt.

Susann Fleischer 
09.05.2022

 
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Das Buch:

Julia May Jonas: Vladimir. Aus dem Amerikanischen von Eva Bonné

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München: Blessing Verlag 2022 352 S., € 24,00 ISBN: 978-3-89667-731-0

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