Romane

Literatur wie Balsam für die Seele

Eines Tages errichtete ein Mann am Fuße des Kujirayama, des Walberges, ganz in der Nähe der Stadt Ōtsuchi, im Garten seines Hauses eine Telefonzelle. Im Inneren der Zelle steht ein altes, nicht angeschlossenes Telefon, aus dem der Wind und Stimmen der Vergangenheit zu hören sind. Hunderttausende von Menschen pilgern Jahr für Jahr zu diesem Telefon, um mit ihren verstorbenen Angehörigen zu sprechen und um ihnen die Dinge zu sagen, die zu Lebzeiten unausgesprochen blieben. Eine von diesen ist die Radiomoderatorin Yui. Sie hat im Tsunami von 2011 ihre Mutter und ihre kleine Tochter verloren. Zwei Jahre später trauert die junge Frau immer noch um ihre Liebsten. Sie kann nicht loslassen, versucht aber irgendwie weiterzumachen. Da erfährt sie von der Telefonzelle am Ende der Welt, eine Tagesfahrt von Tokio entfernt.

In dem Garten lernt Yui den Arzt Takeshi kennen. Auch er muss ein Trauma verarbeiten. Ein Verlust schwelt in ihm wie ein Tumor. Dabei müsste Takeshi für seine sechsjährige Tochter Hana da sein. Doch ihm fehlt die Kraft. Dabei leidet auch das Mädchen: Seit dem Tod ihrer geliebten Mutter hat sie kein Wort mehr gesprochen. Yui leidet mit Takeshi. Im Laufe der nächsten Monate entwickelt sich zwischen ihr und Takeshi eine Freundschaft, und diese schließlich zu mehr. Yui und Takeshi öffnen ihre Herzen füreinander, und für das Leben. Sie nähern sich an, gemeinsam schöpfen sie neuen Mut. Und erlauben sich zum ersten Mal, dem Leben einfach seinen Lauf zu lassen. Ganz gleich, was es für sie vorgesehen hat. Es scheint sich alles endlich zum Guten zu wenden, bis ein gewaltiger Wirbelsturm "Bell Gardia" bedroht ...

Unterhaltung, die einem erscheint wie die Sonne nach einem schweren Gewitter - die Bücher aus Laura Imai Messinas Feder spenden Trost und geben Hoffnung, dass alles irgendwann besser wird. Ab dem ersten Satz von "Die Telefonzelle am Ende der Welt" fühlt man sich tieftraurig, zugleich aber auch sehr, sehr glücklich. Es kribbelt angenehm warm im Bauch wie von Hunderten Schmetterlingen, während man regelrecht Sturzbäche von Tränen weint. Die Italienerin ist eine wundervolle Geschichtenerzählerin, ein großes Talent, von dem man unbedingt mehr, viel mehr lesen möchte. Sie beherrscht ihr Handwerk geradezu meisterlich. Imai Messina ist eine erfrischend neue Stimme auf dem Buchmarkt, außerdem ein besonders hellleuchtender Stern am Himmel der Schriftsteller weltweit. Ihr Können: wow, wow, wow; ihre Werke: zum Verlieben!

Es gibt nur wenige Autor(innen), die so zärtlich und dabei kraftvoll schreiben wie Laura Imai Messina. Ihren Romanen wohnt ein äußerst seltener Zauber inne. "Die Telefonzelle am Ende der Welt" ist mehr als nur das schönste Juwel im Bücherregal, nämlich Balsam für die Seele. Was man hier in die Hände kriegt, ist Literatur der poetisch-betörendsten Sorte. Diese Lektüre trifft mitten ins Herz und bricht es einem sogar. Da kann man nicht anders, als vor Leseglück zu weinen. Definitiv zum Seufzen!

Susann Fleischer 
12.07.2021

 
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Das Buch:

Laura Imai Messina: Die Telefonzelle am Ende der Welt. Aus dem Italienischen von Judith Schwaab

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München: btb Verlag 2021 352 S., € 20,00 ISBN: 978-3-442-75896-8

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