Romane

Musiker Moe

Meist vergnatzen Klappentexte gewissenhafte Rezensenten. Gelegenheits-Rezensenten helfen Klappentexte Kritiken zu verfassen, die so katastrophal sind wie meist Klappentexte. Ein Klappentext erster Güte ist der zu dem erstrangigen Roman "Blue Notes" des französischsprachigen Schriftstellers Yann Apperry, der von Nathalie Mälzer-Semlinger erstklassig übersetzt wurde. Die Güte des Klappentextes ist die klare, chronologische Darstellung des Romangeschehens. Vor dem Lesen des Buches also den Klappentext lesen! Der ist ein brauchbarer Ariadnefaden durch den Roman.

Vermeintlich Eindeutiges wird nie schlicht-einfach erzählt. Das macht einen Teil des Reizes des Romans aus, der keine nette Nachmittagslektüre ist. Der Erzähler Apperry ist ein Poet. Er poetisiert die Prosa. Nicht nur durch unverbrauchte Sprachbilder. Der Autor gibt seiner Prosa einen Rhythmus der – und das ist kein Klischee – ein musikalischer Rhythmus ist. Der paßt bestens zur Geschichte des Musikers Moe Insanguin. Ein teuflischer Musiker? Ein Teufelsmusiker? Ein musikalischer Magier? Die Leser müssen entscheiden. Das Ergebnis der Entscheidenden wird ihrer Mentalität entsprechen.  Möglich ist, das "Genie" Moe zu mögen, wie es möglich ist, es zu verdammen. Das Buch, ein Buch von der schwierigen Geburt einer musikalischen Komposition, hat in allen Momenten soviel Anziehendes wie Abstoßendes. Der Ich-Erzähler Moe ist Narziß und Goldmund in einer Person. Er ist zugleich der Weiche wie  Harte, der Liebenswerte wie Verachtenswerte, der Selbstlose wie Selbstbesessene. Er will der Geliebte sein, der der Liebe nichts geben muß. "Mein Vater", sagt der Erzählende, „hat mir beigebracht, ihn zu überleben“. Das bedeutet, sich nicht der Zügellosigkeit hinzugeben, die selbstzerstörerisch ist. Die Bereitschaft, zum Versäumen und Versagen ist in Moe so manifest wie im Vater. Der mutterlose Moe ist ein Kind, ein Junge und wird ein Mann, in der Gesellschaft einsamer älterer Männer und männlicher Altersgenossen. Eine Wirklichkeit, die eine eher ignorierte als wahrgenommene Erotik der homoerotischen Art hat. Die wird, wie so vieles in dem Roman, indifferent statt direkt artikuliert. Es bleibt genug Raum für die in den Lesern in Bewegung gesetzte Phantasie. Der uneingeschränkte, phantasiereiche Autor schlägt von Anbeginn kräftige Akkorde an, die Seite für Seite nachklingen. Nicht nur in den Vokalen, den Silben, in allen Sätzen ist "Blue Notes" ein durch und durch musikalisches Buch. Die Sprache des Yann Apperry ist nicht die moderne Mund- oder Schriftsprache. Sie ist, wie Moe´s musikalisches Werk, ein konstruiertes Werk. „Blue Notes“ ist ein literarisiertes Buch. Alle Gestalten sind Kunst-Figuren. Alles Geschehen ist voller Kunst-Fertigkeit. Zum Bewundern und zur Verwunderung. Was unzeitgemäß wirkt ist das Zeitgemäße, ist die Literatur, die ursprüngliche Literatur ist. Zeitgemäß-zeitlose Literatur ist selten wie der Humor, der sich ernstnimmt. Durchaus kein klassischer schwarzer Humor, ist der Humor in "Blue Notes" ein grauer, bisweilen grausiger Humor. Das Schön-Scheußliche also, ohne das es weder  das Schöne noch Scheußliche gibt, also das geistige Gerüst der Geschichte des Musikers Moe.

Bernd Heimberger
21.01.2008

 
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Das Buch:

Yann Apperry: Blue Notes. Aus d. Französischen von Nathalie Mälzer-Semlinger

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Berlin: Aufbau Verlagsgruppe 2007
302 S., € 19,95
ISBN: 978-3-351-03218-0

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