Romane

Literatur , die niemanden kalt lässt

Im Herbst 1970 wird im norwegischen Isdal-Tal nahe Bergen die verkohlte Leiche einer Frau gefunden. Bis heute weiß man nicht, wer die Frau ist. Vielleicht beginnt ihre Geschichte 1942, als Åse Evensen ihr Heimatdorf verlässt, um in Tromsø für die deutschen Besatzer wichtigen Kriegsdienst in einem Zuliefererbetrieb zu leisten. Mit ihren zwanzig Jahren ist Åse noch unerfahren, sogar naiv in der Liebe. So muss sie feststellen, dass ihre Begegnung mit dem aus Radebeul stammenden Soldaten Kurt für sie weitreichende, tragische Folgen hat. Die Familie versucht alles, um die Beziehung zu zerstören, schließlich mit Erfolg. Kurt wird an die Front versetzt und fällt kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges, während Åse andere schwere Kämpfe auszufechten hat.

Åse ist in anderen Umständen. Von allen im Stich gelassen, bringt sie im Sommer 1945 ihre Tochter Katrine zur Welt. Åse gilt als "Tysketøser", als "Deutschenflittchen". Weil sie sich mit einem deutschen Besatzungssoldaten eingelassen hat, muss Åse in ein Straflager. Und Katrine wird ihr weggenommen. Sie wächst unter einem anderen Namen in einem Waisenhaus bei Dresden auf. Sie wird adoptiert, aber erst als Erwachsene erfährt sie, dass man sie seit ihrer jüngsten Kindheit belogen hat. Erst 1970 sagt man ihr die Wahrheit über ihre Herkunft. Katrine fasst einen verhängnisvollen Entschluss: Sie will dem Geheimnis ihrer leiblichen Mutter auf die Spur kommen. Als sich Kathrin auf die Suche nach Åse begibt, ahnt sie nicht, wie gefährlich diese Reise ist ...

Emotional, dramatisch, mitreißend - nur wenige Autor(inn)en beherrschen die Erzählkunst einer Hannelore Hippe. Ihre Romane bedeuten ein Leseerlebnis, von dem einem schon ab der ersten Seite ganz schwindelig wird. "Die verlorenen Töchter", übrigens 2012 als "Zwei Leben" mit Juliane Köhler und Liv Ullmann in den Hauptrollen verfilmt, zeugt von Gefühlen und Spannung pur, aber auch von historischer Detailgenauigkeit, über die man nur staunen kann. Zwischen zwei Buchdeckeln steckt betörend-schönste Unterhaltung wie aus der Feder einer Dörthe Binkert oder Mechtild Borrmann. Was man hier in die Hände kriegt, ist einfach nur zum Niederknien. Die deutsche Schriftstellerin kann schreiben, so überwältigend wie kaum jemand sonst ihrer Zunft. Absolut grandios!

Mit "Die verlorenen Töchter" gelingt Hannelore Hippe Literatur, die sogar Leben zu verändern vermag. Nach der Lektüre scheint die Welt sowohl ein kleines bisschen Düsterer als auch Heller. Man leidet mit der Protagonistin und hofft bis zum letzten Satz auf ein glückliches Ende. Das Schicksal von Åse Evensen trifft mitten ins Herz. Es rührt einen zu Tränen. Und es rüttelt einen wach für die ungerechten Geschehnisse vor mehr als siebzig Jahren.

Susann Fleischer
14.01.2019

 
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Das Buch:

Hannelore Hippe: Die verlorenen Töchter

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München: dtv 2018
224 S., € 14,90
ISBN: 978-3-423-26205-7

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