Romane

Poppen für die Goldmedaille

Im Jahre 2028 finden die Weltmeisterschaft im Leistungssex in Kopenhagen statt. Das deutsche Team aus Berlin mit dem erfahrenen dreimaligen Weltmeister Leon Sklydolchowski gehört auch in diesem Jahr wieder zu den Top-Favoriten. In unterschiedlichen Disziplinen treten die Teams im K.O.-System gegeneinander an. Der Modus verzeiht keine Schwächen, was den Akteuren psychische und physische Höchstleistungen bereits ab der ersten Runde abverlangt. Doch Leon muss mit einer ganz besonderen Herausforderung in diesem Jahr klarkommen, hat er sich doch in seine Teamkollegin Shasha verliebt. Bereits im Vorfeld der Welttitelkämpfe hat er daher für sich die Entscheidung getroffen, nach diesem Turnier seine aktive Karriere zu beenden und Shasha seine Liebe zu gestehen. Doch während des Turniers sind Gefühle einfach nur fehl am Platz, die Punktrichter würden ihm diesen Fauxpas garantiert nicht verzeihen.

"Geschehnisse während der Weltmeisterschaft" lautet der Titel des neuesten Werks von Helmut Krausser. Der erfolgsgekrönte deutsche Schriftsteller entführt den Leser mit der vorliegenden Dystopie in eine nahe Zukunft, die einem angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen in den letzten Jahren nicht mehr allzu fern und vor allem sehr möglich erscheint. Neben den dystopischen Elementen hat Krausser in "Geschehnisse während der Weltmeisterschaft" auch literarisch wertvoll erscheinende Ansätze integriert, mit ordentlich Satire gewürzt und einen Spionage-Kriminalfall darin untergebracht. Gekrönt wird die rund 240 Seiten umfassende Erzählung durch die unausgesprochene und schwelende Liebesgeschichte zwischen den beiden Leistungssex-Sportlern Leon und Shasha.

Zu Beginn des Buchs hat sich Leon, der sich aufgrund seiner Erfolge im Leistungssex nicht mehr unerkannt in der Öffentlichkeit bewegen kann, in die winterliche Ödnis Nordnorwegens davongestohlen. Dort lebt er mit sich und den Büchern Dostojewskis, der sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch zieht, alleine, bis er eines Tages einem Wolf gegenübersteht und handeln muss. Nach seiner Rückkehr in die Zivilisation hat Leon die Gerüchteküche, die während seiner unangekündigten Abwesenheit siedend heiß vor sich hin brodelte, mit unzähligen Interviewwünschen zu befriedigen. Anschließend widmet er sich aber wieder als Vollprofi ganz der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft in Dänemark. Abgeschirmt von begeisternden Fans sowie gewalttätigen Demonstranten bereiten sich die Berliner in einem Hotel auf die Wettkämpfe vor.

Krausser hat mit dem vorliegenden Buch eine wunderbare Idee aus den Entwicklungen einer zunehmend sexualisierten Gesellschaft heraus gesponnen, die man einfach nur großartig finden möchte. Alleine vor der Phantasie, mit der er die den Leistungssex umfassenden Disziplinen ersonnen hat, will man den Hut ziehen. Dramatische Wettkämpfe mit ungeahnten Wendungen schmücken diese Phantasiewelt wunderbar aus. Doch hat man irgendwie das Gefühl, dass Krausser seine einzigartige Idee nicht richtig umgesetzt bekommt. Da wird der Präsident des Weltverbands, der mit seinen Ideen die gesamte Leistungssex-Gemeinde spaltet, tot aufgefunden, da bekommt Shasha merkwürdige E-Mails von einem Mann im Rollstuhl, da wird Leon zu einem konspirativen Treffen mitten in der heißen Wettkampfphase gerufen, doch am Ende versanden die mühsam aufgebauten Stränge leider allzu rasch.

Es ist nicht zu verkennen, dass Helmut Krausser ein Autor mit hohem literarischem Anspruch an sich und seine Werke ist. So mögen Literaturfreunde seine schizophrenen Denkfiguren Dosto und Jewski, die fortwährend aus dem Protagonisten Leon sprechen, begeistern, während der gewöhnliche Leser hierzu nur müde gähnt. "Geschehnisse während der Weltmeisterschaft" ist ein weiterer von vielen Versuchen der neueren deutschen Literatur, der zeigt, dass das fesselnde Erzählen von Geschichten eine Kunstform ist, die die breite Masse fasziniert. Dagegen wird diese Mehrheit nur gequält ein neutrales Urteil über Werke mit tiefergehendem Anspruch fällen, während Freunde gehobener Literatur darüber in Jubelstürme verfallen werden. So wird Otto Normalverbraucher über "Geschehnisse während der Weltmeisterschaft" schließlich zum Schluss kommen, dass eine skurrile, aber doch potentiell gut vorstellbare Idee mit viel zu viel literarischem Anspruch ziemlich unspektakulär und unsauber zu Ende gebracht wurde. Schade, da war mehr drin!

Christoph Mahnel
12.02.2018

 
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Das Buch:

Helmut Krausser: Geschehnisse während der Weltmeisterschaft

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München: Berlin Verlag 2018
240 S., € 20,00
ISBN: 978-3-8270-1203-6

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